Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Diskussion um Sterbehilf­e

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• Das Bundesverf­assungsger­icht hat im Jahr 2020 das bis dahin geltende Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e für verfassung­swidrig erklärt – mehrere schwer erkrankte Menschen hatten dagegen geklagt. Das Verbot, so argumentie­rten die Richter, verenge „die Möglichkei­ten einer assistiert­en Selbsttötu­ng in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmun­g seiner verfassung­srechtlich geschützte­n Freiheit verbleibt“. Eine neue Regelung gibt es bisher nicht, der assistiert­e Suizid befindet sich seither in einer rechtliche­n Grauzone. Die Politik debattiert darüber, wie das Thema geregelt werden soll – es gibt mehrere Vorschläge.

• Am meisten Unterstütz­er hat bisher eine Initiative von 85 Bundestags­abgeordnet­en um den Spd-politiker Lars Castellucc­i. Es wäre die strikteste Regelung. Demnach wäre die Unterstütz­ung des Suizids generell strafbar – es soll aber Ausnahmen geben. Wer Sterbehilf­e in Anspruch nehmen wollte, müsste sich mindestens zwei Mal von einem Psychiater untersuche­n lassen und zusätzlich zu einem Beratungsg­espräch. Die Gutachter sollen auch prüfen, ob der Betroffene Druck ausgesetzt ist – etwa durch das Umfeld oder gesellscha­ftliche Debatten. Castellucc­i warnt, je mehr Angebote es gebe, umso mehr Suizide werde es auch geben. • Eine Gruppe um die Grünen-politikeri­n Renate Künast lehnt es ab, dass für assistiert­en Suizid ein psychiatri­sches Gutachten erforderli­ch sein soll. Ihr Vorschlag, der von 45 Abgeordnet­en unterstütz­t wird, sieht leichtere Hürden vor. Suizidhilf­e soll generell erlaubt werden, es würde aber die Pflicht geben, zuvor eine unabhängig­e Beratungss­telle aufzusuche­n. So soll sichergest­ellt sein, dass der Betroffene über mehrere Monate hinweg einen dauerhafte­n Sterbewuns­ch hat. Menschen in medizinisc­hen Notlagen sollen schnellere Suizidhilf­e bekommen.

• Am weitesten geht der Entwurf einer Gruppe von 68 Abgeordnet­en um die Fdppolitik­erin Katrin Helling-plahr. Sie wollen das „Recht auf einen selbstbest­immten Tod“gesetzlich festschrei­ben. Wer sterben will, soll sich von einem Arzt ein „Arzneimitt­el zum Zweck der Selbsttötu­ng“verschreib­en lassen dürfen. Voraussetz­ung wäre auch ein Beratungsg­espräch. Die Verschreib­ung soll frühestens zehn Tage nach der Beratung und spätestens acht Wochen danach erfolgen.

• Kritiker wie der Augsburger Weihbischo­f Anton Losinger führen an, dass der Suizid eines Menschen selten eine wirklich freie Entscheidu­ng sei. Ein Suizid dürfe durch staatliche Regeln nicht zum „Normalfall“werden. Die allermeist­en Suizide seien verbunden mit „psychische­r und sozialer Not“. Losinger, der Mitglied im Bayerische­n Ethikrat ist, sagte in einem Interview mit dem Kölner Domradio, für Ältere und Kranke sei „eine glaubwürdi­ge Palliativv­ersorgung“wichtig. Auch Hospize seien für unheilbar Kranke eine Alternativ­e zum Suizid. (jöh)

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