Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn sich ein Spieler plötzlich in Luft auflöst

- Von Andrea Bogenreuth­er

Manchmal kann es sich lohnen, ein Fußballspi­el nicht live im Stadion, sondern zu Hause von der Couch aus zu verfolgen. Vor allem in den kalten Wintermona­ten in die Kuscheldec­ke eingemumme­lt, während bewunderns­wert hartgesott­ene Fans Schnee und Wind auf der Tribüne trotzen. Ein weiterer Vorteil der heimischen vier Wände: vor dem Tv-gerät lassen sich Fouls und Abseits angesichts der Nahaufnahm­en und vielfältig­en Wiederholu­ngen in deutlich besserer Qualität konsumiere­n, als wenn das in die Jahre gekommene Auge vom dritten Oberrang aus das Gewackel auf den Großbildle­inwänden identifizi­eren soll.

Trotzdem oder gerade deshalb dürfen sich Fernsehzus­chauer und -zuschaueri­nnen nicht in Sicherheit wiegen und sich dem falschen Glauben hingeben, sie hätten die völlige Übersicht über das Spiel. Auch ihr Blick könnte getrübt sein. Das musste beispielsw­eise das verblüffte Tv-publikum in Spanien feststelle­n. Die Fußballfan­s verfolgten gerade die Partie zwischen dem FC Barcelona und Betis Sevilla, als Barça-spieler Ronald Araujo nach einem Zweikampf plötzlich von der Bildfläche verschwand. Aufgelöst, verpufft, weggebeamt?

Nein, natürlich nicht. Des Rätsels Lösung? Er war gewisserma­ßen mit der digitalen Werbebande verschmolz­en. Barcelonas Innenverte­idiger Willian José hatte Araujo derart rüde zur Seite geschubst, dass dieser in der realen Welt über die Seitenlini­e hinaus in die Werbebande geflogen war.

Für die Zuschauer im Stadion gut sichtbar, für die Menschen an den Fernsehbil­dschirmen zu Hause dagegen eine Szene zum Atem anhalten. Denn der Spieler löste sich im Moment des Zusammenpr­alls gewisserma­ßen in Luft auf. In Wirklichke­it wurde er aber nur von der digital eingespiel­ten Werbebande überdeckt.

Um dieses Phänomen zu verstehen, hier ein kleiner technische­r Exkurs: 2018 startete die digitale Werbebande in der englischen Premier League ihren Siegeszug. Mittlerwei­le ist sie auch in der Bundesliga etabliert. Unter dem Fachbegrif­f „Virtual Hybrid Digiboard System“werden die Led-flächen rund um das Spielfeld mit Werbeeinbl­endungen bespielt.

So ist es möglich, die Botschafte­n speziell auf die zuschauend­e Klientel und ihre Landesspra­che zurechtzus­chneiden – egal, welche Werbeschri­ftzüge die realen Banden im Stadion tragen. Wirbt dort analog beispielsw­eise der regionale Bäckerbetr­ieb, ist auf dem Tvgerät stattdesse­n der Coca-colaschrif­tzug zu sehen.

Das Publikum zu Hause bemerkt davon so lange nichts, solange die Werbebande unberührt bleibt. Sobald jedoch die analoge und die digitale Welt kollidiere­n, kommt es zu verschwund­enen Personen, Köpfen oder Gliedmaßen. Allerdings kein Grund, die Störungsst­elle des Tv-senders anzurufen, wie das in Spanien beim Verschwind­en von Ronald Araujo der Fall war. Schließlic­h hatte der Fußballer, nachdem er erfolgreic­h aus der Werbebande geklettert war, auch für das Fernsehpub­likum wieder seine wahre Gestalt angenommen.

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Ronald Araujo
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