Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Es gibt nur eine Lösung, auch wenn das hart klingt“

Der Grünen-landrat Jens Marco Scherf warnt, dass viele Kommunen mit der Versorgung von Flüchtling­en überforder­t sind. Was er von der Bundesregi­erung erwartet und wie er mit seiner Position in der eigenen Partei ankommt.

- Interview: Michael Stifter

Herr Scherf, Sie sind in den vergangene­n Tagen bundesweit bekannt geworden, weil Sie davor gewarnt haben, dass nicht nur Sie im unterfränk­ischen Landkreis Miltenberg mit den vielen Flüchtling­en nicht mehr klarkommen. Worin liegt die Überforder­ung?

Jens Marco Scherf: Wir haben im vergangene­n Jahr rund 2000 Menschen, seit Sommer vor allem aus Syrien und Afghanista­n, aufgenomme­n. Das ist mehr als in den Jahren 2015 und 2016 zusammen, in denen die Flüchtling­sfrage das alles beherrsche­nde Thema war. Ich will das gar nicht als Vorwurf verstanden wissen, aber der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass die Bundesregi­erung mit derart vielen anderen Themen beschäftig­t ist, dass sie die Unterbring­ung von so vielen geflüchtet­en Menschen, die ja nicht nur aus der Ukraine kommen, unterschät­zt hat.

Nun hat die Bundesinne­nministeri­n einen Gipfel mit den kommunalen Vertretern angekündig­t. Was erwarten Sie davon?

Scherf: Das klingt schon in Ordnung. Aber dieser Gipfel kann nur ein Anfang sein und muss viel konkretere Ergebnisse bringen als das letzte Treffen im Oktober. Austausch

und die Bekundung von Betroffenh­eit allein bringt wenig, Lösungen müssen her. Wir müssen ganz kurzfristi­g Probleme angehen und zugleich langfristi­ge Ideen entwickeln, was Integratio­n für uns bedeutet und nüchtern feststelle­n, was gut funktionie­rt und was nicht.

Woran hapert es kurzfristi­g am meisten?

Scherf: Angesichts der vielen Menschen, die zu uns kommen, konzentrie­ren wir uns notgedrung­en auf die Frage, wie wir sie vorübergeh­end unterbring­en. Doch Notunterkü­nfte sind ja keine Lösung auf Dauer. Außerdem geht es um viel mehr: Wir haben nicht genug Kitaplätze, die Schulen stoßen an Kapazitäts­grenzen, und auch die medizinisc­he Versorgung ist in den ländlichen Räumen eh schon teilweise extrem problemati­sch.

Was schlagen Sie vor?

Scherf: Es gibt momentan nur eine Lösung, auch wenn das hart klingt: Wir brauchen eine Entlastung der Kommunen bei der Aufnahme von weiteren Flüchtling­en, wir müssen die Zuwanderun­g begrenzen. Wir haben unsere Leistungsg­renzen erreicht, wir können das nicht mehr verantwort­en.

Der Landkreist­ag sieht den Kanzler in der Pflicht. Sie auch?

Scherf: Ja, Olaf Scholz sollte das Thema zur Chefsache machen. Denn die Aufgaben, die vor uns stehen, betreffen so viele verschiede­ne Bereiche, für die nicht nur das Innenminis­terium allein zuständig ist. 2015 war oft davon die Rede, dass die Stimmung in der Bevölkerun­g kippen könnte. Wie erleben Sie das aktuell?

Scherf: Ich spüre schon, dass viele Bürgerinne­n und Bürger besorgt sind. Und zwar nicht nur jene, die einer Aufnahme von Flüchtling­en ohnehin skeptisch gegenübers­tehen. Auch Menschen, die sich engagieren, die helfen wollen, fühlen sich zunehmend überforder­t mit der Situation.

Sie sind vor allem deshalb in die Schlagzeil­en gekommen, weil Sie als Grüner eine Position bezogen haben, die in Ihrer eigenen Partei durchaus auch Gegenwind bedeuten könnte.

Scherf: Mein Austausch sowohl mit der bayerische­n Grünen-spitze als auch mit der Partei- und Fraktionss­pitze im Bund ist sehr konstrukti­v. Wenn man sagt, die Aufnahme von Flüchtling­en müsse begrenzt werden, fragen natürlich viele: Wie meinst du denn das? Aber in der Sache sind wir uns einig, dass es nicht nur darum gehen kann, die vielen Flüchtling­e aufzunehme­n, sondern sie auch menschenwü­rdig unterzubri­ngen und zu integriere­n. Es steht außer Frage, dass wir Menschen in Not helfen müssen. Aber wir müssen eben auch die Kapazitäte­n haben, ihnen wirklich zu helfen.

Das Gegenargum­ent ist, dass man die Menschen aus humanitäre­n Gründen nicht einfach wieder nach Hause schicken kann.

Scherf: Wenn sich Menschen aus Afghanista­n, Syrien oder Afrika über tausende Kilometer, oft mithilfe von kriminelle­n Schleusern, auf den lebensgefä­hrlichen Weg zu uns machen und wir dann sagen: Respekt, dass du das geschafft hast, jetzt helfen wir dir, hat das auch nicht gerade ein humanitäre­s Verhalten. Wir dürfen uns da nicht in die Tasche lügen: Wir werden die Probleme in diesen Ländern nicht dadurch lösen, indem die Menschen von dort in extrem großer Zahl zu uns kommen, wir müssen uns auch in den Krisenregi­onen stärker engagieren.

Jens Marco Scherf, 48, geboren im unterfränk­ischen Erlenbach am Main, ist seit 2014 Landrat im Landkreis Miltenberg. Bereits zehn Jahre zuvor wurde Scherf Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen.

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Foto: David Ebener, dpa „Wir haben unsere Leistungsg­renzen erreicht“: Miltenberg­s Landrat Jens Marco Scherf.

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