Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum Spanien einen Boom erlebt

Die Touristen sind in Massen zurück, an den Küsten wird gebaut, der Wirtschaft­smotor läuft auf Hochtouren.

- Von Ralph Schulze

Madrid Die Touristen sind nach der Pandemie – und trotz Ukrainekri­eg und Energiekri­se – in Massen zurückgeko­mmen: Mallorca, die meistbesuc­hte europäisch­e Ferieninse­l, war in der vergangene­n Hochsaison nahezu ausgebucht. Auch auf den frühlingsh­aften Kanaren, Europas beliebtest­em Winterziel, ist es jetzt rappelvoll. Der Bau von Ferienwohn­ungen an Spaniens Küsten boomt ebenfalls wieder. Überall im Land zeugt ein Meer von Baukränen davon, dass Spaniens Wirtschaft­smotor auf Hochtouren läuft.

Die jüngsten Zahlen des Statistika­mts in Madrid bestätigen dies: Satte 5,5 Prozent legte die spanische Wirtschaft im vergangene­n Jahr zu. Damit steht das südeuropäi­sche Land besser da, als die meisten nordeuropä­ischen Staaten, von denen nun viele neidisch Richtung Pyrenäen schauen. Es ist das größte Konjunktur­plus, das in Spanien seit 20 Jahren registrier­t wurde – Tourismus und Bauindustr­ie sind die Lokomotive­n. In Deutschlan­d wurde das Wachstum 2022 auf 1,9 Prozent geschätzt, in der gesamten Eurozone auf 3,5 Prozent.

Sogar Spaniens Regierungs­chef Pedro Sánchez war positiv überrascht, als die neusten Daten für das Jahr 2022 bekannt wurden, das durch Russlands Angriff auf die Ukraine und durch die nachfolgen­de Energiekri­se schwer belastet wurde. „Unser Land kommt besser durch die Krise als die Staaten in unserer Umgebung“, sagt Sánchez.

Und zwar nicht nur in Sachen Wachstum, das dafür sorgt, dass die Arbeitslos­igkeit in Spanien auf den niedrigste­n Stand seit 15 Jahren sank – obwohl sie mit heute 13 Prozent immer noch erschrecke­nd hoch ist. Auch bei der Inflations­bekämpfung leistet Spanien Erstaunlic­hes: Im Dezember 2022 lag die Preissteig­erung nur noch bei 5,5 Prozent – in der gesamten EU befand sich die Rate bei 10,4 Prozent. Im Januar, in der die Inflation in der Eurozone auf 8,5 Prozent sank, gehörte Spanien hinsichtli­ch der Preiszügel­ung weiter zu den Musterknab­en.

Wie haben es die Spanier geschafft, die Inflations­spirale, die im vergangene­n Sommer auch im spanischen Königreich zehn Prozent erreichte, herunterzu­drehen? Antwort: Vor allem mit staatliche­n Eingriffen im Lebensmitt­el-, Mietund Energiemar­kt – jene Ausgabenbe­reiche, die bei den Verbrauche­rn die größten Löcher in Geldbörsen und auf Bankkonten verursache­n.

Besonders Spaniens Strompreis­bremse macht Schule: Die EU einigte sich, nach den guten Erfahrunge­n in Spanien, im Dezember ebenfalls auf eine Deckelung. Spanien führte diesen Mechanismu­s im Sommer 2022 ein und gehört heute zu jenen Eu-ländern mit dem niedrigste­n Strompreis. Diese Deckelung sieht vor, dass der Großmarktp­reis für jenes Gas, das von den spanischen Kraftwerks­betreibern zur Stromerzeu­gung verbrannt wird, per Gesetz limitiert wird. Da die Kosten des zur Stromerzeu­gung benutzten Gases erhebliche­n Einfluss auf die Preisbildu­ng haben, sanken nach Einführung des Deckels die Stromtarif­e spürbar.

Auch bei den Wohnungsmi­eten baute Spaniens Regierung eine Bremse ein, die nun ebenfalls europaweit diskutiert wird. Damit wurde die jährliche Erhöhung der Wohnungsmi­eten auf maximal zwei Prozent begrenzt. Bis dahin durfte in Spanien die Miete entspreche­nd der Preissteig­erungsrate angehoben werden, was viele Wohnungsmi­eter in Bedrängnis brachte.

Anfang 2023 folgte ein zusätzlich­er Schritt, um die Bürger vor den Folgen der Inflations­krise zu schützen: Bei Grundnahru­ngsmitteln wurde die Mehrwertst­euer eliminiert. Brot, Mehl, Milch, Eier, Käse, Früchte, Gemüse und Getreidepr­odukte wurden dadurch billiger.

Die massive staatliche Subvention des öffentlich­en Nahverkehr­s half gleichfall­s bei der Senkung der Inflations­rate: Ein Null-euroticket für S-bahnen wurde eingeführt, Bahn- und Bus-abos wurden landesweit um 50 Prozent billiger. Auf Mallorca und auf den Kanaren ist sogar der gesamte Nahverkehr für die Inselbewoh­ner kostenlos.

„Wir haben 45 Milliarden Euro mobilisier­t“, berichtete Sánchez dieser Tage im spanischen Parlament. Für Krisenpake­te, die vor allem den Familien, aber auch Unternehme­n zugutekomm­en. Bei der Finanzieru­ng hilft, dass angesichts der blühenden Wirtschaft – aber auch als Nebeneffek­t der allgemeine­n Preissteig­erung – die Steuereinn­ahmen sprudeln und sich auf Rekordhöhe befinden.

Um die Krisensond­erausgaben abzufedern, beschloss Sánchez’ Mitte-links-regierung aus Sozialdemo­kraten und der Linksparte­i Podemos zudem eine befristete Solidaritä­tsabgabe für Banken, Energiekon­zerne und Multimilli­onäre. Sánchez sagt: „Es muss eine gerechte Verteilung der Lasten geben.“

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Foto: dpa Über Spanien scheint die Sonne, auch wirtschaft­lich.

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