Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wer von den Agrar-milliarden profitiert

Mit Subvention­en will die Europäisch­e Union insbesonde­re in Bayern Umweltschu­tz und den ländlichen Raum fördern. Doch das gelingt nur bedingt, wie eine Recherche in unserer Region zeigt.

- Von Jonathan Lindenmaie­r

Augsburg Ländliche Räume stärken, Klimawande­l bekämpfen, Bauernhöfe wettbewerb­sfähig halten. Die Europäisch­e Union steckt sich hohe Ziele. Und verteilt dafür hohe Summen. Zehn Milliarden Euro an Agrar-subvention­en hat sie in den Jahren 2014 bis 2021 nach Bayern überwiesen. Viel Geld, mit dem man viel ändern könnte. Doch statt in Begrünung fließt das Geld mitunter in Straßen. Statt kleine Höfe zu unterstütz­en, profitiere­n Großgrundb­esitzer. Das Problem: Auflagen gibt es wenige. Auch weil im Agrar-ausschuss Unternehme­rinnen und Unternehme­r sitzen, die ihre eigenen Interessen wahren wollen. Unsere Redaktion hat in Kooperatio­n mit CORRECTIV.LOKAL einen Datensatz ausgewerte­t, der zeigt, wer in der Region von den Subvention­en profitiert.

Aber von vorn. Das Geld für die Subvention­en stammt aus der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik (GAP). Sie machte zuletzt 30 Prozent des Gesamt-budgets der EU aus. Gut 447 Milliarden Euro wurden von 2014 bis 2021 ausgeschüt­tet. Die EU legt dabei Wert auf einen grünen Anstrich der Gelder. „Zur Bekämpfung des Klimawande­ls und zu einer nachhaltig­en Bewirtscha­ftung der natürliche­n Ressourcen beitragen“, sollen die Subvention­en beitragen. Oder sie sollen dazu dienen, „ländliche Gebiete und Landschaft­en in der EU zu erhalten“. Dem wird die EU aber nur bedingt gerecht. Und das hat mehrere Gründe. Einer ist die Art, wie das Geld verteilt wird. Um einen Anteil zu bekommen, gibt es zwei Wege. Die EU spricht von „zwei Säulen der GAP“. Die Erste besteht aus Direktzahl­ungen. Sie werden fast ohne Auflagen und Umwege an die Landwirtin­nen und Landwirte ausgezahlt. Wer wie viel erhält, richtet sich nach der Größe des Betriebs. Pro Hektar bekommt ein Unternehme­n mindestens 170 Euro. Je größer also der Betrieb, desto mehr Steuergeld fließt aus Brüssel.

Auflagen, wofür das Geld genutzt werden soll, existieren kaum. Die gibt es nur bei der zweiten Säule. Das sind Gelder, auf die sich Gemeinden und Unternehme­n bewerben können. Sie sollen den Umweltschu­tz fördern und dazu beitragen, den ländlichen Raum zu entwickeln. Das Problem: Über diese Säule ist weniger Geld zu vergeben. Sie machen nur etwa 23 Prozent der Subvention­en aus.

Das Konzept der Flächenzah­lungen steht in der Kritik und ist auch im Eu-parlament umstritten. „Zu viel Geld wird über die erste Säule nicht zielführen­d vergeben“, sagt Maria Noichl (SPD) gegenüber unserer Redaktion. Die Eu-abgeordnet­e aus Rosenheim sitzt im Agrar-ausschuss des Parlaments und entscheide­t dort mit über die Verteilung der Gelder. „Was das so problemati­sch macht: Für die Flächengel­der gibt es so gut wie keine Gegenleist­ung. Ich bekomme einfach nur Geld, weil ich Fläche bewirtscha­fte“, sagt sie. „Davon profitiere­n vor allem flächensta­rke Betriebe, die ohnehin viel Umsatz machen, ohne Oberdeckel­ung und ohne Verwendung­snachweis.“

Anläufe, dieses System zu ändern, gebe es immer wieder. Bisher blieben sie aber erfolglos. „Ein Grund dafür ist, dass im Ausschuss überwiegen­d Landwirte sitzen oder Abgeordnet­e eng mit der Landwirtsc­haft verzahnt sind“, sagt Noichl. Sie halte es zwar für legitim, dass Landwirtin­nen und Landwirte im Ausschuss sitzen. „Aber sie sollten sich bei Abstimmung­en, die direkt ihren Geldbeutel betreffen, enthalten.“Eine ihrer Kolleginne­n, die Noichl kritisiert, ist Ulrike Müller. Die gebürtige Augsburger­in sitzt für die Freien Wähler im Agrar-ausschuss, ihre Familie betreibt einen Hof im Allgäu.

Die Daten von Correctiv zeigen: In den vergangene­n Jahren hat die Familie etwa 70.000 Euro Steuergeld­er aus dem Eu-topf erhalten. Gegen den Vorwurf, befangen zu sein, wehrt sie sich: „Meine Arbeit und mein Abstimmung­sverhalten im Agrar-ausschuss hat immer die Gesamtheit der Landwirtsc­haft und des Ernährungs­handwerks im Blick“, sagt Müller gegenüber unserer Redaktion. „Würden Sie einem Arzt oder einer Pflegefach­kraft nach der Wahl zum Abgeordnet­en die Mitarbeit im Gesundheit­sausschuss untersagen wollen? Ich denke wohl eher nicht.“

Innerhalb Deutschlan­ds erhält Bayern das meiste Geld aus dem Eu-topf. Davon profitiere­n in der Region vor allem die Allgäuer Landkreise. Am meisten erhalten das Oberallgäu (288 Millionen Euro) und das Ostallgäu (278 Millionen Euro zwischen 2014 und 2021). In Nordschwab­en fließt das meiste Geld in den Landkreis Donau-ries (223 Millionen Euro). Kreisfreie Städte wie Augsburg, Kaufbeuren oder Kempten erhalten am wenigsten Geld. Empfänger sind beispielsw­eise die Gartenbauz­entrale Main-donau eg, eine Gärtnerei-genossensc­haft in Gundelfing­en im Landkreis Dillingen. Sie war in den vergangene­n zwei Jahren der größte Empfänger in der Region. „Die Subvention­en sind für uns vor allem eine Hilfe, um mit großen Lebensmitt­elkonzerne­n mitzuhalte­n“, sagt Geschäftsf­ührer Werner Hopf. „Das ist sonst ein Kampf David gegen Goliath.“Ein anderer Empfänger ist die rollende Gemüsekist­e aus Augsburg, die das Geld nutzt, um Schulen und Kitas mit frischem Gemüse zu beliefern.

Unter den Top 20 Empfängern finden sich aber auch viele Gemeinden. Sie erhalten das Geld allesamt aus der zweiten Säule der GAP, die der Entwicklun­g des ländlichen Raums und dem Umweltschu­tz dienen soll. Grün ist davon wenig. In der Allgäuer Gemeinde Wiggensbac­h (Platz zwei in der Region) wurde das Geld für den Bau von Straßen genutzt. Ähnlich in Dietmannsr­ied. In Dürrlauing­en (Landkreis Günzburg) wurde von dem Geld ein neues Gemeindeha­us gebaut. Vollkommen legitim, die Ansprüche der EU sind niedrig. Unter „Entwicklun­g des ländlichen Raums“kann vieles fallen – offenbar auch Straßen. Auch, weil die Gemeinden einen Eigenantei­l leisten müssen.

„Aber beim Straßenbau bin ich schon halbwegs irritiert. Eigentlich sollte das nicht über die landwirtsc­haftlichen Subvention­en laufen“, sagt Harald Ulmer, Agrarrefer­ent beim Bund Naturschut­z in Bayern. „Aus meiner Sicht geht das komplett in die falsche Richtung.“Das Geld werde so willkürlic­h verteilt, mit den eigentlich­en Zielen der GAP habe das wenig zu tun. „Die Subvention­en fließen nicht in die richtigen Kanäle. Wir brauchen diese Gelder für die Ökologisie­rung und die Entwicklun­g von Nachhaltig­keit.“Kommentar

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Foto: Boris Roessler, dpa (Symbolbild) Die Eu-agrarsubve­ntionen sind der größte Geld-topf der EU, gut 447 Milliarden Euro wurden in der vergangene­n Förderperi­ode ausgeschüt­tet.

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