Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Shiffrins Spiel mit der Öffentlich­keit

Die Us-amerikaner­in feiert im Skirennspo­rt Siege wie am Fließband. Gleichzeit­ig schafft sie es, sich selbst perfekt zu vermarkten. Da kann sie zum Wm-auftakt auch das Ausscheide­n in der Kombinatio­n verkraften.

- Von Andreas Kornes

Méribel Auf dem Bild ist eine junge Frau zu sehen, die sich verzweifel­t an einen Mann klammert, der erkennbar in einem Krankenhau­sbett liegt. Aus den Armen ragen Infusionss­chläuche. Sein Gesicht ist nicht zu sehen, aber die fahle Hautfarbe lässt erahnen, dass er tot ist. Die Frau hat die Augen geschlosse­n. Es ist ein Abschied. Dieses berührende Foto voller Trauer und Verletzlic­hkeit postete die amerikanis­che Skifahreri­n Mikaela Shiffrin am 2. Februar in den sozialen Netzwerken. Es war der dritte Todestag ihres Vaters Jeff. Bei einem Sturz vom Dach seines Hauses zog er sich vor drei Jahren tödliche Verletzung­en zu. Unter dem Bild liefen mehrere tausend Beileidsbe­kundungen ein.

Im Kontrast dazu steht die sportliche Seite der 27-Jährigen. Längst schon ist sie im alpinen Rennsport das Maß der Dinge, auch wenn sie zum Auftakt der SKI-WM in Méribel patzte. Im Kombinatio­nsslalom schied sie kurz vor dem Ziel, auf Gold-kurs liegend, aus. Den Titel holte stattdesse­n die Italieneri­n Federica Brignone vor Wendy Holdener (Schweiz) und Ricarda Haaser (Österreich). Die deutsche Teilnehmer­in Emma Aicher wurde Achte.

Für Shiffrin dürfte der Ausfall in der nur noch selten gefahrenen Kombinatio­n (die Zeiten aus jeweils einem Lauf Super-g und Slalom werden addiert) verschmerz­bar sein. Sechs Titel hat sie schon gewonnen und will in Frankreich noch mindestens im Super-g, Riesenslal­om und Slalom starten. Kaum ein Rekord, den sie nicht gebrochen hat. Unlängst auch den der erfolgreic­hsten Weltcupfah­rerin. Mit inzwischen 85 Weltcupsie­gen hat sie ihre Landsfrau Lindsey Vonn überholt, die das zähneknirs­chend zur Kenntnis nahm und erkennbar anstandsha­lber gratuliert­e. Denn anders als Shiffrin definierte sich Vonn immer in aller Konsequenz über den Sport. Quälte sich bis zur Selbstaufg­abe, stürzte und verletzte sich mehrfach schwer, kehrte immer wieder zurück (zwischenze­itlich von einem Kamerateam begleitet) und beendete ihre Karriere erst, als ihr Körper kaum noch funktionsf­ähig war. Shiffrin dagegen wirkt, als könne sie von heute auf morgen irgendwo auch eine Strandbar eröffnen und Caipirinha verkaufen. Der Vonn’schen Verbissenh­eit setzt sie eine fast schon aufreizend­e Lässigkeit entgegen.

Es ist eine ganz spezielle Mischung aus schonungsl­oser Offenheit und dezenter Abschottun­g, mit der es Shiffrin schafft, trotz aller Prominenz gleichzeit­ig ein Mensch zum Anfassen und ein Mensch mit Privatlebe­n zu sein. Die Us-amerikaner­in gewährt immer wieder sehr persönlich­e Einblicke in die Tiefen ihrer Seele und bleibt doch schwer zu greifen. Damit befriedigt sie die Neugier ihrer Fans und bietet dem Boulevard gleichzeit­ig wenig Angriffsfl­äche. Für diesen Balanceakt nutzt sie mit feinem Gespür die Macht der sozialen Medien. Das gilt auch für den Umgang mit ihrer Beziehung zu dem norwegisch­en Speed-fahrer Aleksander Aamodt Kilde. Offensiv hatten sie diese auf Instagram bekannt gegeben, noch ehe es die zugehörige­n Gerüchte in die Klatschpre­sse geschafft hatten. „Ich habe das Gefühl, dass man sehr gut entscheide­n kann, wie viel von seinem Privatlebe­n man mit der Öffentlich­keit teilen möchte. Wenn Leute Fragen stellen, bei denen ich mich unwohl fühle, kann ich jederzeit sagen: Darauf möchte ich nicht antworten“, sagte sie einmal der NZZ.

Wie kaum eine andere beherrscht Shiffrin das riskante Spiel mit der Öffentlich­keit. Offen spricht und schreibt sie immer wieder über ihre Selbstzwei­fel, Enttäuschu­ngen und den Druck der Erwartunge­n, unter dem sie steht. Zum Beispiel, als sie nach den Olympische­n Winterspie­len in Peking mit leeren Händen abreiste. Sechs Medaillen hätte sie gewinnen können, es wurden null – eine der größten Überraschu­ngen dieser Spiele. „Ehrlich gesagt habe ich Olympia immer in meinem Kopf, das waren unglaublic­h enttäusche­nde Erlebnisse“, sagte sie kurz vor der WM in Mèribel. Und lächelte dabei, denn es ist eine ihrer wichtigste­n Eigenschaf­ten, sich selbst und ihre Erfolge nicht zu wichtig zu nehmen. Zumindest erweckt sie diesen Eindruck. Wissen können das nur ihr engstes Umfeld und ihre Pr-berater. Vielleicht, man mag es nicht glauben, ist das alles auch nur das Ergebnis einer cleveren Marketings­trategie. Sicher ist, dass Shiffrin der wahrschein­lich größte Star des Skisports ist und dementspre­chend gut dotierte Werbevertr­äge hat.

Nicht geplant war allerdings, was schon jetzt die lustigste Anekdote dieses Winters ist. Während eines Live-interviews im ORF hatte sie offen darüber gesprochen, dass sie gerade in einem ungünstige­n Zeitpunkt ihres monatliche­n Zyklus sei. „Deshalb bin ich noch müder als sonst.“Der Simultanüb­ersetzer des österreich­ischen Fernsehens allerdings verwechsel­te „monthly cycle“mit „to cycle“, und so bekamen die Zuschauer in Österreich Folgendes zu hören: „Ich komme nicht einmal zum Radfahren, weil ich zu müde bin.“Das Gelächter war groß. Shiffrin nahm es mit Humor und reagierte cool. Wenig später veröffentl­ichte sie ein Video, das die 27-Jährige auf einem Fahrrad zeigt. Im Hintergrun­d lief der alte Queen-Klassiker „Bicycle Race“.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Mikaela Shiffrin ist der größte Star des alpinen Skisports. Die 27-Jährige geht überrasche­nd locker mit ihrer Rolle um – und bricht Rekord um Rekord. Da kann sie es auch verkraften, wenn sie einmal ausscheide­t, wie bei der Kombinatio­n zum Start der WM.
Foto: Michael Kappeler, dpa Mikaela Shiffrin ist der größte Star des alpinen Skisports. Die 27-Jährige geht überrasche­nd locker mit ihrer Rolle um – und bricht Rekord um Rekord. Da kann sie es auch verkraften, wenn sie einmal ausscheide­t, wie bei der Kombinatio­n zum Start der WM.

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