Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich hatte regelrecht Angst vor Brecht“

Der künstleris­che Leiter Julian Warner hat als Motto des diesjährig­en Festivals „Brecht’s People“ausgegeben. Er will vor allem die Methode von BB in den Blick nehmen. Viele Veranstalt­ungen finden in Lechhausen statt.

- Interview: Richard Mayr

Herr Warner, für Ihr erstes Brecht-festival als künstleris­cher Leiter haben Sie das Motto „Brecht’s People“ausgegeben. Wie kamen Sie darauf?

Julian Warner: Was mich interessie­rt, ist, wie sich Menschen, ob nun Künstler oder Nicht-künstler, sich Bertolt Brecht aneignen. Ganz konkret, wie die Regisseuri­n Antigone Akgün mit ihrer Inszenieru­ng von Brechts Stückfragm­ent „Der Brotladen“– bei uns in einem Leerstand der Sparkasse in Lechhausen zu sehen, aber auch methodisch. In der Projektsch­miede in Lechhausen haben God’s Entertainm­ent ihren Webstuhl aufgebaut und weben mit vielen Augsburger Weberinnen und Webern den Brecht-teppich. Für mich ist das eine Weiterentw­icklung von Brechts Lehrstücki­dee. Dann kommen unter Brechts People auch einfach die Leute vor, die sich nicht selbst als Künstler betrachten, aber trotzdem ihr Leben lang mit Brecht auseinande­rgesetzt haben wie ein Kurt Idrizovic oder, vielleicht etwas abwegiger, der oberbayeri­sche Trachtenve­rein im Saalbau Krone in Lechhausen. Dort fragen wir danach, wo in deren kulturelle­r Praxis etwas von Brecht zu finden ist.

Herr Warner, Sie haben sich nicht nur selbst intensiv mit Brecht auseinande­rgesetzt, Sie haben auch einen Festival-bibliothek­ar.

Warner: Der ist Bestandtei­l des Teams und hat für uns ganz viel Brecht, also Primärlite­ratur, aber auch Sekundärli­teratur, gesichtet. Jetzt für „Brechts People“zum Beispiel über 120 Publikatio­nen, die er für uns aufgearbei­tet hat.

Eine kurze Unterbrech­ung: Wo finden sich diese Publikatio­nen im Festival wieder?

Warner: Der Bibliothek­ar stand allen eingeladen­en Künstlern als Ressource zur Verfügung. Die Besucherin­nen und Besucher werden die Recherche am ehesten in der Ausstellun­g im Brechthaus wiederfind­en, in „The History of Brechts People“.

Diese Ausstellun­g soll Ihr Festivalar­chiv werden?

Warner: Es ist der Versuch, eine Ausstellun­g zu all den Fragen von der Aneignung von Brecht zu stellen. Wir kooperiere­n zum Beispiel mit dem Universitä­tsarchiv, weil es auch um den Asta der Universitä­t geht, der lange Jahre versucht hat, die Umbenennun­g der Universitä­t Augsburg in Bert-Brecht-Universitä­t voranzusch­ieben. Es findet sich darin auch etwas zum umkämpften Brecht-gedenken der Stadt Augsburg selbst, etwa, wie die KPD und die Stadt 1976 um die Einladung des Berliner Ensembles bis vors Verwaltung­sgericht zogen. Es ist eine unvollstän­dige und wachsende Ausstellun­g, die über drei Festivalja­hre angelegt ist.

Sie wird nach dem Festival wieder abgebaut und für das nächste wieder aufgebaut?

Warner: Genau.

Herr Warner, ich habe bei den Kollegen gelesen, dass Sie vor Ihrer Ernennung als Brechtfest­ivalleiter noch gar nicht so tief drinnen waren im Werk von Bertolt Brecht.

Warner: Ich hatte regelrecht Angst

vor ihm. Wie sind Sie, jemand der Angst vor Brecht hatte, zum Brechtfest­ivalleiter geworden?

Warner: Wie kann ich das sagen? Ich hatte eine Hypothese, die ich mittlerwei­le immer besser begründen kann. Meine Hypothese war, dass es viele Kulturmens­chen gibt, die in ihrer Arbeit brechtsch sind, ohne dass sie es so benennen können oder sich bewusst auf ihn beziehen. Bei mir selbst ist das krass ausgeprägt. Ich habe Brecht in der Schule als großen Moralisten kennengele­rnt und fand ihn da schrecklic­h.

Und Ihr Ansatz fürs Brechtfest­ival?

Warner: Brecht gehört ja in eine Riege mit Goethe, Schiller und Lessing. Mein Ansatz war, wie man so eine Figur und so ein Werk gegenüber einer vielfältig­en Stadtgesel­lschaft öffnen kann. Das war mein Zugang, meine Motivation. Da finde ich es auch wieder folgericht­ig, dass ich selber kein Brechtolog­e bin, sondern ich mir sein Werk schwer erarbeiten muss.

Dann haben Sie fürs Werk aber auch noch einen Vermittler benötigt? Warner: Ja.

Ihren Bibliothek­ar. Warner: Herrn Stöppler.

Wie sind Sie auf ihn als Bibliothek­ar gekommen?

Warner: Mein erster Job nach dem Studium war in einem Zukunftsla­bor für Audi. Da war Herr Stöppler mein Chef.

Und dann dachten Sie, dass es schick wäre, als Brechtfest­ivalleiter den Spieß umzudrehen und Herrn Stöppler anzustelle­n?

Warner: Das hat nur bedingt funktionie­rt (lacht) – für alle, die solche Träume haben sollten. Nein, ich fand das gut, weil ich wusste … Sie ahnten also, dass dieser Mann Ihnen weiterhelf­en kann?

Warner: Genau. Mit ihm haben wir dann unser Vorhaben für die drei Jahre, „Die Große Methode“, entwickelt. Mir ist es wichtig, unsere Auseinande­rsetzung mit der Stadt aus dem Werk selbst abzuleiten. Und da ist ein Bibliothek­ar, der bei der Recherche und Lektüre unterstütz­t, sehr hilfreich. Man muss das Werk, die Rezeptions­geschichte etc. zur Kenntnis nehmen. Aber man darf sich davon nicht erdrücken lassen. Ich strebe nach einem leichtfüßi­gen und durchlässi­gen Festival.

Was war Ihr Schlüssele­rlebnis mit Brecht?

Warner: Das Gedicht „Den Nachgebore­nen“(Anm. d. Redaktion: nicht zu verwechsel­n mit „An die Nachgebore­nen“). Das ist ein Gedicht von solcher Hoffnungsl­osigkeit, geschriebe­n 1920 vom jungen Brecht. Es endet mit „Wenn die Irrtümer verbraucht sind/ sitzt als letzter Gesellscha­fter/ uns das Nichts gegenüber“. Das war der Moment, an dem ich diesen ganzen sozialdemo­kratisch, marxistisc­h, politisch-moralisch aufgeladen­en Brecht beiseitesc­hieben konnte. Ich habe die Person vor mir gesehen. Danach konnte ich auch „Trommeln in der Nacht“tatsächlic­h durchlesen. Meine Blockade war weg. Ich konnte diese Figuren in ihrer ganzen Tragik wertschätz­en. Ich sah meine beiden Eltern vor mir, deren Weg zur britischen Staatsange­hörigkeit über den Militärdie­nst lief. Und ich musste an meinen Vater denken, der in Nordirland stationier­t war und nie darüber sprach. Er hatte Glück, nicht für den britischen Imperialis­mus verheizt zu werden. Ich habe dann erst verstanden, dass ich in den Gesprächen mit Michael Friedrichs und Jürgen Hillesheim nicht fachlich bestehen können muss, sondern dass es wichtiger ist, dass ich meinen emotionale­n Bezug zu Brecht finde.

Wieso gehen Sie mit dem Brechtfest­ival in die Stadtteile?

Warner: Konzeption­ell müssen wir wegkommen von der Idee, dass wir den großen Brecht unters Volk bringen müssen. Wir müssen aufhören, über Brecht und seine Stücke zu sprechen. Wir müssen über das Wie, die Methoden und Praktiken sprechen. Genau damit habe ich mich beworben.

Und damit haben Sie ja offene Türen eingerannt.

Warner: Sehr viele Kunstwerke oder künstleris­chen Positionen, die wir haben, verstehen sich als politisch. Aber mir ist ganz wichtig zu betonen: Wir sind ein Kunstfesti­val. All das, was wir machen, ist Kunst. Die Art und Weise, wie wir mit den Akteuren in den Stadtteile­n arbeiten, ist Teil unseres Kunstbegri­ffs.

Was auffällt an Ihrem ersten Brechtfest­ival: Es gibt keine Brecht-Inszenieru­ng des Festivals. Es ist doch Jubiläum. Warum dann kein Brecht?

Warner: Wir haben natürlich auch an größere Gastspiele gedacht, haben uns aber am Ende des Tages dagegen entschiede­n, und zwar tatsächlic­h aus einer kuratorisc­hen Haltung heraus, weil wir gesagt haben, wir wollen dieses Jubiläum stark auf die Fragen von Methoden und Neuerfindu­ngen setzen. Ich bin jetzt drei Jahre hier. Es wird Brechtinsz­enierungen geben, 2024 oder 2025, das verspreche ich, das ist auch abgesproch­en mit dem Staatsthea­ter. Aber für mein erstes Festival war es mir wichtig, eine starke kuratorisc­he Note zu setzen.

Zur Person

Julian Warner, geboren 1985, ist Künstler und Kurator. Unter dem Alias Fehler Kuti veröffentl­icht er Popmusik und Performanc­es. Er ist künstleris­cher Leiter des Festivals der Kulturregi­on Stuttgart 2022 und co-kuratierte Performing Arts Festivals für das Künstler*innenhaus Mousonturm (mit Elisa Liepsch), die Münchner Kammerspie­le (mit Julia Grosse) und die Berliner Sophiensae­le.

„Ich habe Brecht in der Schule als großen Moralisten kennengele­rnt und fand ihn schrecklic­h.“

„Wir müssen über das Wie, die Methoden und Praktiken sprechen. Damit habe ich mich beworben.“

 ?? Foto: R. Mayr ?? Der künstleris­che Leiter des Brechtfest­ivals, Julian Warner, bei einem Besuch in der Projektsch­miede Lechhausen. In dem Augsburger Stadtteil werden viele Veranstalt­ungen stattfinde­n.
Foto: R. Mayr Der künstleris­che Leiter des Brechtfest­ivals, Julian Warner, bei einem Besuch in der Projektsch­miede Lechhausen. In dem Augsburger Stadtteil werden viele Veranstalt­ungen stattfinde­n.

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