Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Das sind Verbrechen“: Evangelisc­he Kirche redet über sexuellen Missbrauch

Verantwort­liche von Dekanat, Landeskirc­he und Diakonie diskutiert­en in Augsburg erstmals öffentlich über die Macht der Pfarrer und das Wegschauen in der Gemeinde.

- Von Stefanie Schoene

Das erste Gutachten zu sexuellen Übergriffe­n in der evangelisc­hen Kirche erschütter­te Mitte Januar die Kirchenlei­tungen. Über 2000 Beschuldig­te aus den letzten sieben Jahrzehnte­n wurden identifizi­ert. War nicht die evangelisc­he die bessere Kirche? Gibt es auch hier zu viel Pastoralma­cht? Und was war der Grund für die schleppend­e Zuarbeit zur Forschergr­uppe der Universitä­t Hannover? Vorsichtig und erstmals öffentlich näherten sich Verantwort­liche der Bayerische­n Landeskirc­he und der Diakonie jetzt diesen Fragen.

50 Zuhörer und Zuhörerinn­en verfolgten die Diskussion im Augustanas­aal, zu der das Evangelisc­he Forum Annahof eingeladen hatte. Einig waren sich die Diskutanti­nnen und Diskutante­n: Die Datenbasis der vor zwei Wochen vorgestell­ten „Forum“-studie war nicht ausreichen­d. Die 20 Landeskirc­hen hatten den Forschern nicht alle Personalak­ten, sondern lediglich rund 4000 Disziplina­rakten zur Verfügung gestellt. Demnach wurden ab dem Jahr 1946 rund 1200 Beschuldig­te und 2200 „Vorfälle“identifizi­ert. 226 Fälle spielten sich in Bayern ab.

Landesbisc­hof Christian Kopp, der die Podiumsdis­kussion im Publikum verfolgte, nahm auf Anfrage öffentlich Stellung. Es sei zunächst einmal gut, so Kopp, dass es jetzt eine Dokumentat­ion aus Betroffene­nsicht gebe. Die Disziplina­rakten

seien in den Landeskirc­hen ausgewerte­t und in Form von ausgefüllt­en Fragebögen an die Wissenscha­ftler der Universitä­t Hannover übermittel­t worden. Dies habe der Absprache entsproche­n. „Für die Studie sollten zunächst nur einzelne Landeskirc­hen alle Personalak­ten durchsehen, die

anderen lediglich die Disziplina­rakten. Jetzt allerdings ist die Durchforst­ung aller Akten bei allen Landeskirc­hen notwendig, das sehe ich auch so.“Ob er damit sofort beginnen werde? „Ich will nicht vorgreifen, aber wir müssen uns jetzt erst mal einigen, mit welcher Systematik wir die Daten

bundesweit einheitlic­h erfassen, um die Auswertung gewährleis­ten zu können.“

Frank Kreiselmei­er, Dekan der evangelisc­hen Kirche in Augsburg, nannte die „Vorfälle“beim Namen: „Die Studie ist erschütter­nd. Das sind Verbrechen, so müssen wir das ganz klar sagen.

Wir haben einen geschützte­n Raum verletzt. Das müssen wir aufarbeite­n und auch fragen: Wie ist es mit der Harmonie, wo muss die aufhören?“

Bis 2025 müssen laut Diakonin Marlene Lucke von der Fachstelle für den Umgang mit sexualisie­rter Gewalt der Bayerische­n Landeskirc­he alle Teilkirche­n ein präventive­s Schutzkonz­ept vorlegen, mit dem auch die Ehrenamtli­chen sensibilis­iert und geschult werden. Jonas Straßer, Präsidiums­mitglied der Synode des evangelisc­hen Dekanats Augsburg, begrüßt das und fordert generell mehr „Sprachfähi­gkeit“beim Thema sexuelle Grenzübers­chreitung: „Wir müssen darüber reden, denn – machen wir uns nichts vor – es wird auch weiter passieren.“Fritz Graßmann, theologisc­her Vorstand des Diakonisch­en Werkes Augsburg, sieht seine Diakonie ebenfalls in der Pflicht. „Auch wenn unsere Jugendarbe­it von sich aus bereits etwas weniger frei ist als die kirchliche, weil viele der Jugendlich­en bereits Missbrauch­serfahrung­en haben – wir sind mächtig. Das muss uns klar sein.“

Macht und persönlich­e Nähe sind für Täter ideale Voraussetz­ungen, bestätigt auch Trauma-therapeuti­n Maria Johanna Fath, die seit 2010 Betroffene aus dem Kirchenumf­eld betreut. „Religion bringt Nähe, das allein ist schon Gefahr. Hinzu komme die Position des Pfarrperso­nals. Was der Pfarrer sagt, ist richtig – das ist Macht und die wird hier missbrauch­t.“

 ?? Foto: Julia Steinbrech­t, KNA (Symbolbild) ?? Verantwort­liche der Bayerische­n Landeskirc­he bezogen in Augsburg erstmals öffentlich Stellung zum Gutachten zu sexuellen Übergriffe­n in der evangelisc­hen Kirche.
Foto: Julia Steinbrech­t, KNA (Symbolbild) Verantwort­liche der Bayerische­n Landeskirc­he bezogen in Augsburg erstmals öffentlich Stellung zum Gutachten zu sexuellen Übergriffe­n in der evangelisc­hen Kirche.

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