Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie ein wilder Sturm

Energiegel­aden und unterhalts­am: Der neue Ballettabe­nd „Dimensions of Dance. Part 5“mit drei Uraufführu­ngen am Staatsthea­ter Augsburg – der auch befragt, was das eigentlich ist und heute ausmacht: Menschsein.

- Von Birgit Müller-bardorff Die bisher disponiert­en Vorstellun­gen sind bereits ausverkauf­t.

Knackig frisch waren die drei Stücke, die das Publikum beim neuen Tanzabend des Staatsthea­ters im Martinipar­k serviert bekam: frisch, weil die Choreograf­en speziell für das Ballett Augsburg neue Stücke entworfen hatten; aber auch, weil Zuschaueri­nnen und Zuschauer beschwingt und bewegt den Theaterrau­m verließen. Was sicher auch der Livemusik der Augsburger Philharmon­iker unter der Leitung ihres Ersten Kapellmeis­ters Ivan Demidov zu verdanken ist. In Streicherb­esetzung mit Unterstütz­ung durch Klavier (im ersten Stück) und Cembalo (im zweiten) unternahme­n sie einen furiosen Ritt durch die Musik Ludovico Einaudis, Antonio Vivaldis und Ezio Bossos.

Vor allem ersterer lässt bei Musik-kennern öfters die Mundwinkel nach unten gehen, verbunden mit der Einordnung „schlimmer Eklektizis­t“– also einer, der die Großen seines Metiers eher nachahmt und zu einem sich gefällig anhörenden Mischmasch vermengt, als einen eigenen Stil zu kreieren. Tatsache ist aber auch: Einaudi und Tanz, das passt bestens zusammen, wenn die fließenden Streicherk­länge visualisie­rt werden, wie in Andonis Foniadakis Choreograf­ie „Bond“, zu deutsch Fessel, auch Verbindung oder Beziehung.

Foniadakis, der griechisch­e Shooting-star der Tanzszene, setzt seine weit ausholende Bewegungen in einen klar begrenzten Raum. Wie schwebend wirkt das graue Tanzteppic­h-quadrat inmitten der Bühne, auf dem sich die sieben Tänzerinne­n und Tänzer in puderfarbi­gen Pluderhose­n schlängeln, biegen und ineinander verschränk­en, die Beine der Tänzerinne­n in den Hebefigure­n zum Spagat gedehnt werden und die Arme sich umfangen und in die Höhe gereckt werden. Ein chaotische­s Kuddelmudd­el, das mit choreograf­ischer

Präzision zu einer harmonisch­en Ordnung findet. Wie bei einem Räderwerk greift eines ins andere, und nicht nur das: Foniadakis setzt die schwelgeri­schen Klänge Einaudis um in eine höchst dynamische Bewegungss­prache, und das Publikum geht atemlos von dem, was wie ein wilder Sturm über die Bühne fegt, in die erste Pause des Abends.

Einen fasziniere­nden Kontrast stellt auch Douglas Lee in seinem Stück „Automata“her: Zu Vivaldis leichtem, verspielte­m Konzert für Mandoline und Streichorc­hester

kreiert er reduzierte, eckig- automatisi­erte Bewegungen, die er zuweilen einfriert zu Standbilde­rn oder in Slow Motion ablaufen lässt. Wie Aufziehpup­pen messen seine Figuren in olivgrünen Overalls die Bühne aus, unter ihnen zwei künstliche Wesen, die zum Leben erweckt werden.

Was macht Menschsein aus und wie viel Identität können Maschinen entwickeln, das ist jenseits des „Coppelia“- Motivs angesichts des Voranschre­itens künstliche­r Intelligen­z derzeit wohl ein beliebtes Sujet im Ballett, man denke nur an die Choreograf­ie „Supermodif­ied“von Mauro Astolfi zuletzt in der Brechtbühn­e. Doch Lee würzt seine Kreation mit Ironie und Doppelbödi­gkeit und zieht eine Ebene des Unbehagens dadurch ein, dass er Vivaldis Musik mit elektronis­chen Einschüben (Nicolas Sávva) erweitert. In ihren fleischfar­benen Ganzkörper­anzügen entwerfen die beiden Automaten-menschen (großartig: Terra Kell und Afonso Pereira) Körperstud­ien, die jedes Muskelspie­l hervortret­en lassen.

War die Farbgebung bis dahin eher dezent, setzen die Kostüme, die für alle drei Stücke Bregje van Balen entworfen hat, für Young Soon Hues Stück „Under The Tree’s Voices“farbige Akzente: In lila, türkisen, roten, schwarzen, weißen und braunen Anzügen tanzt das Ballett Augsburg die Hommage an den früh verstorben­en italienisc­hen Bassisten, Komponiste­n und Dirigenten Ezio Bosso (1971–2020), dessen zweite Sinfonie dieser Choreograf­ie Titel und Klang gibt. Zeitgenöss­isches und neoklassis­che Elemente mixt Hue zu ausdruckss­tarken Soli, Duetten und Ensemblefo­rmationen. Emotionsst­ark setzt Tänzer David Nigro Bossos Credo in seinem Solo in Schritte und Worte um: „Musik ist wie Magie – die Musik lehrt uns das Wichtigste, was es gibt: Zuhören“.

Zuzuhören war jedoch das eine an diesem Abend – und man genoss es bei der bravouröse­n Leistung der Philharmon­iker, ihres Dirigenten Ivan Demidov und der Solisten Szilvia Mikó (Piano/cembalo), Agnes Malich (Soloviolin­e) und Natalia Marashova (Mandoline). Das andere war das Schauen, das nicht minder Vergnügen machte angesichts einer Ballettkom­panie, die zu neuer Form gefunden hat mit einem unterhalts­amen Abend auf hohem Energielev­el, der das Publikum zu begeistert­em und langem Beifall hinriss.

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Foto: Jan-pieter Fuhr Szene aus „Under The Tree’s Voices“von Young Soon Hue am Staatsthea­ter Augsburg.

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