Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich mache mir schon Sorgen, aber Angst habe ich keine“

Hamas-terror und Antisemiti­smus treiben deutsche Juden um. Die junge Augsburger­in Isabell Aviva Vaisman erzählt, wie es sich lebt als liberale Jüdin in der Stadt – und wovon sie enttäuscht war.

- Von Stefanie Schoene

Isabell Aviva Vaisman ist Vorsitzend­e des Csu-ortsverein­s Hochzoll, 23 Jahre jung, Jüdin und hat in Augsburg Rechts- und Wirtschaft­swissensch­aften studiert. Was bedeutet es in diesen Monaten, jüdisch zu sein? Muss man da was tun, wachsam, vorsichtig sein? Auf eine Anfrage der Redaktion erklärt sich Vaisman bereit, Antworten und Einblicke in ihr Leben zu geben. Eine erfolgreic­he Einwanderu­ngsgeschic­hte und eine junge Augsburger Biografie, in die sich die Schlachtfe­lder der Ukraine als auch die Ausläufer des Nahostkonf­likts eingeniste­t haben.

Wann und wo sie sich öffentlich als Jüdin vorstellt, das überlegt Vaisman sehr genau. Denn seit 2014, als sie begann, sich für diesen Teil ihrer Identität zu interessie­ren, ist es nie selbstvers­tändlich gewesen, Jüdin zu sein. 2014 war der letzte große Gaza-krieg. Die Hamas hatte drei israelisch­e Jugendlich­e ermordet, Israel startete umfangreic­he Festnahmen und Luftangrif­fe auf Hamas-stellungen. Auch dieser Krieg war begleitet von großen, aufgeheizt­en Demonstrat­ionen in Deutschlan­d. Im Zuge dessen meldeten türkeistäm­mige Muslime des rechten Spektrums in Augsburg eine Demonstrat­ion an, auf dem Rathauspla­tz skandierte­n Hunderte Menschen „Kindermörd­er Israel“.

Seither, so Vaisman, sei vor allem in den sozialen Medien eine kontinuier­liche, antisemiti­sche Grundstimm­ung spürbar gewesen, auch wenn sie selbst weder an der Schule noch bis letzten Herbst an der Universitä­t beleidigt oder

angegriffe­n worden sei. Doch seit dem Terroransc­hlag vom 7. Oktober sei da Lebensgefü­hl ein anderes. Israelfein­dlichkeit in deutschen Straßen, Rufe nach dem Kalifat auf einer Demonstrat­ion in Essen – inzwischen geht Vaisman wieder vorsichtig­er mit dem Zeigen ihres Davidstern­s um. Auch der politische Umgang mit der abgerissen­en Israel-fahne auf dem Rathauspla­tz habe ihr Sicherheit­sgefühl erschütter­t, sagt sie. Im entscheide­nden Moment habe die Stadt aus ihrer Sicht versagt. Nachdem die Fahne zweimal abgerissen worden war, blieb sie unten. Gegenüber der Oberbürger­meisterin

habe sie sich daraufhin klar geäußert. Man setze doch auch in der deutschen Politik sehr viel auf Symbolik, warum nicht hier?

Für die Familie ist der Nahe Osten sehr nah. Vaisman weiß, dass man in Israel beim Kauf einer Wohnung immer ein Zimmer als Bunker mit eisenverst­ärkten Türen und Wänden ausbaut. Als am 7. Oktober die ersten Nachrichte­n und Bilder vom Hamas-massaker öffentlich wurden, hatten ihre Eltern in Hochzoll Freunde aus Israel zu Besuch. „Es war furchtbar, wir saßen alle wie erstarrt vor dem Fernseher.“Der Rückflug am 8. Oktober fiel aus Sicherheit­sgründen aus. Erst am nächsten Tag wurde der Alarm aufgehoben. Doch der Sonderbere­ich am Münchener Flughafen, von dem aus die Flieger nach Israel starten, sei noch stärker gesichert gewesen als sonst, erzählt Vaisman.

Die antiisrael­ischen Demonstrat­ionen der letzten Wochen, antisemiti­sche Sprüche auf der Berlinale, in der Uni Bayreuth, auf einer Konferenz in München, auch Angriffe auf Juden in Berlin und Zürich hinterlass­en Unsicherhe­it. „Ich mache mir schon Sorgen, aber Angst habe ich keine“, sagt Vaisman. Mit ihrer Davidstern­kette allerdings ist sie im Alltag, vor allem in Augsburger Bussen und Straßenbah­nen, vorsichtig.

Vaisman ist mit Deutsch und Russisch zweisprach­ig aufgewachs­en. Ihre Eltern stammen beide aus russischsp­rachigen Teil der Ukraine, haben also beide auch eine besondere Beziehung zum aktuellen Ukraine-krieg. Viele Welten laufen in dieser Familie zusammen. Zwar spielte das Jüdischsei­n eine eher kulturelle als religiöse Rolle. Ihre Mutter zünde zu Hanukkah eine Kerze an und in der russischen Samstagssc­hule las Vaisman die Kinder-thora. In den letzten neun Jahren jedoch wurde das Judentum zum Teil ihres Lebens. Sie eignete sich Wissen in Eigenregie an, bis sie vor wenigen Monaten in der Augsburger Synagoge erstmals an einem Schabbat-gebet teilnahm.

Während sie deutsch-säkular und liberal sozialisie­rt sei, gehe es in der Gemeinde ziemlich orthodox zu. Amtssprach­e sei Russisch. „Wäre es nicht meine Mutterspra­che, würde ich nichts verstehen.“Dass sie an einem Freitagabe­nd nach Beginn des Schabbats dem Rabbiner ihre Handynumme­r nicht selbst aufschreib­en durfte, sondern für das Stiftaufne­hmen und Schreiben jemand gerufen wurde, habe sie sehr erstaunt. Auch dass Frauen und Männer mitten in Deutschlan­d durch unterschie­dliche Eingänge zum Gebet gehen müssen, und ausschließ­lich Männer in der Thora unterricht­et werden, findet sie befremdend. Doch sie werde sehr herzlich aufgenomme­n und fühle sich wohl in der Gemeinde. „Die Leute sind sehr hilfsberei­t. Und ich will ja etwas lernen, deswegen sind mir die Gottesdien­stbesuche weiterhin wertvoll.“

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Foto: Annette Zoepf Isabell Aviva Vaisman ist 23 Jahre alt und lebt in Augsburg.

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