Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Drachen gegen Heimweh
Seit einem Jahr kämpfen in dem afrikanischen Land Sudan zwei Generäle um die Macht. Viele Menschen mussten fliehen, um sich in Sicherheit zu bringen. Auch Salah gehört zu ihnen.
Salah steht auf dem staubigen Platz und lacht, als er zum Himmel schaut. Dort fliegt der Drachen des sieben Jahre alten Jungen. Langsam gibt Salah die Schnur in seiner Hand frei. Der Schwanz des Drachen flattert in der Luft und lässt ihn so höher steigen. Er schwebt über dem Zaun mit Stacheldraht und den Zelten aus Stöcken und Decken.
In so einem Zelt lebt auch die Familie von Salah. Noch vor einem Jahr wohnte die Familie in einer ganz normalen Wohnung in der Stadt Khartum. Dort in dem afrikanischen Land Sudan ging Salah zur Schule. Er spielte Fußball und sein Lieblingskuscheltier war ein Teddybär. Aber dann begannen im Sudan Kämpfe. Plötzlich wurde in den Straßen von Khartum geschossen. Es war nicht mehr sicher für Salahs Familie. Seine Eltern packten ein paar Koffer und zogen mit ihm und seiner kleinen Schwester zunächst in eine andere Stadt. Der Teddy musste in Khartum zurückbleiben. Nach ein paar Monaten war es aber auch in der anderen Stadt nicht mehr sicher. Die Familie musste an einen anderen Ort weiterziehen – bis auch dort geschossen wurde. Jetzt leben
Salah und seine Familie in einem Flüchtlingslager im Nachbarland Südsudan.
Salahs Vater hat beobachtet, dass Salah auf der Flucht immer stiller und trauriger wurde. Er weiß, dass der Junge seine Freunde vermisst und seine Spielsachen.
Aus ein paar Stöcken und Plastiktüten hat er deshalb den Drachen gebastelt. Er ist zwar nicht so schön bunt und groß wie andere Drachen. Aber er kann fliegen! „Wenn ich meinen Drachen steigen lasse, vergesse ich Heimweh und Langeweile“, sagt Salah. Und auch andere Kinder aus dem Lager kommen herbeigerannt und schauen zu, wenn der Drache über dem Lager durch die Luft saust.
Die Menschen leben im Lager eng zusammen. Und die Kinder wissen, dass sich die Erwachsenen viele Sorgen um die Zukunft machen. Auch viele Kinder haben Angst. Denn die vergangenen Monate waren schwer. Umso wichtiger ist es, wenn sie die Gewalt vergessen und einfach mal spielen können. Ein kleiner Junge zieht ein Auto, das aus einer alten Plastikflasche gebastelt wurde. Andere Kinder haben eine mit Sand gefüllte Flasche an einem Strick an einen Pfahl gebunden. Sie kicken sie hin und her. Zwei Mädchen spielen mit einem Ball, den sie aus Plastiktüten und Stricken zusammengeschnürt haben. So richtig rund ist er nicht, aber er kullert.
Vor allem am späten Nachmittag kommen die Menschen im Lager an die Luft. Denn dann beginnen die Temperaturen etwas zu sinken. Frauen bereiten das Abendessen vor oder unterhalten sich mit Nachbarinnen. Die Kinder spielen Fußball oder Fangen. Und Salahs Drachen schwebt über allen. (Von Eva Krafczyk, dpa)