Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie sich die Deutschen ihre Schule wünschen
Sechs Jahre gemeinsames Lernen, einheitliche Tests und finanzielle Unterstützung für sozial Schwache. Ludger Wößmann wollte wissen, was die Bundesbürger in Sachen Bildung ändern würden
Für 80 Prozent der Deutschen ist die Bildungspolitik wichtig oder sehr wichtig bei ihrer Wahlentscheidung. Herr Wößmann, haben Sie mit diesem Resultat gerechnet?
Das Ergebnis überrascht mich nicht. Ich glaube, dass das Thema gerade bei Landtagswahlen entscheidend sein kann. Schließlich ist Bildung das hoheitliche Thema der Länder. Bei der Bundestagswahl könnte es deshalb anders aussehen.
Chancengleichheit und die Durchlässigkeit des Bildungssystems sind seit Jahrzehnten Thema. Ihre Studie zeigt aber, dass die absolute Mehrheit der Leute mit beruflichen Abschlüssen sich diese auch für ihre Kinder wünscht. Drei Viertel der Akademiker hingegen möchten, dass auch der Nachwuchs Akademiker wird. Warum?
Das hat sicher mit Traditionen zu tun, aber möglicherweise auch damit, dass man gerade in niedrigen Bildungsschichten nicht so sehr an Alternativen denkt, die für die Kinder später mehr Optionen eröffnen. Diese Informationsunterschiede tragen zu unserem Ergebnis bei. Durch Informationskampagnen könnte man hier mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen. Sie haben zum ersten Mal gezielt auch Lehrer gefragt, ob und inwiefern sich am Schulsystem etwas ändern sollte. Wie reformwillig sind die deutschen Pädagogen?
In Bereichen, die die Lehrer selbst betreffen, sehen wir keine große Reformbereitschaft. Sie lehnen zum Beispiel mehrheitlich ein Ganztagsschulsystem und die Inklusion von Kindern mit Lernschwäche in Regelschulen ab. Aber es gibt auch Bereiche, in denen wir eine recht hohe Reformbereitschaft feststellen.
Welche sind das?
Das gilt zum Beispiel bei der Frage nach Vergleichstests für Schüler in Deutschland. Zwei Drittel der Lehrer wünschen sich, dass nationale Bildungsstandards so überprüft werden. In der Gesamtbevölkerung sind es sogar 83 Prozent. Über 60 Prozent der Lehrkräfte – und noch mehr der Gesamtbevölkerung – befürworten, dass die Aufteilung auf die verschiedenen Schulformen erst nach der 6. und nicht nach der 4. Klasse vonstattengehen soll.
Mehr als zwei Drittel der Deutschen geben dem Schulsystem die Note drei oder schlechter. Interessant ist, dass sowohl Bürger als auch Lehrer die Schulen bei ihnen vor Ort deutlich besser bewerten.
Man kann annehmen, dass hier gewisse Unterschiede in der Wahrnehmung bestehen zwischen dem, was tatsächlich vor Ort ist, und dem, was woanders geschieht. Die Gesamtbevölkerung und noch mehr die Lehrer denken: „Insgesamt haben wir im Bildungssystem Probleme, aber bei uns ist eigentlich alles einigermaßen in Ordnung.“Das ist natürlich gefährlich, wenn wir wollen, dass es insgesamt besser wird.
Über einheitliche Prüfungen in ganz Deutschland wird seit Jahrzehnten diskutiert. Verkennt die Politik hier, wie einfach sie Punkte machen könnte?
Das wird vor allem durch die föderale Struktur unseres Bildungssystems blockiert. Die Länder wollen keine Kompetenzen abgeben. Ich glaube in der Tat, dass dadurch sehr viel Unmut bei den Menschen entsteht. Aber die Politik bemüht sich ja, auch ein paar Schritte voranzukommen. Das geht zwar nur sehr langsam, aber im Idealfall führt es doch dazu, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft vergleichbare Prüfungen bekommen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Für das nächste Jahr – das ist noch relativ wenig bekannt – haben sich 14 der 16 Bundesländer darauf geeinigt, dass die Mathematik-Abiturprüfungen am gleichen Tag und mit Aufgaben aus demselben Pool gestellt werden.
Eine große Mehrheit der Deutschen spricht sich dafür aus, dass die Ausgaben für Bildung steigen sollen. Sie sind für eine Kindergartenpflicht, bei der der Staat die Gebühren für einkommensschwache und Flüchtlingsfamilien übernimmt. Selbst wenn die Steuern erhöht werden müssten?
Zumindest bei der Kinalle dergartenpflicht für Flüchtlingskinder haben wir explizit darauf hingewiesen, dass dies durch Steuergelder finanziert werden müsste. Trotzdem haben wir eine deutliche Zustimmung von einer absoluten Mehrheit der Bevölkerung.
Einheitliche Tests, Kindergartenpflicht: Sehnen sich die Deutschen in Sachen Bildung nach Struktur?
Ja, es gibt Hinweise darauf. Beim letzten Ifo-Bildungsbarometer haben gerade die Eltern gesagt, dass nach der Grundschule die Noten über den Schulweg entscheiden sollten – und nicht der Elternwille. Dies deutet darauf hin, dass sich die Menschen klare Regeln und eine klare Leistungsorientierung wünschen. Interview: Sarah Ritschel O
Ludger Wößmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet das Zentrum für Bildungsökonomik am Ifo-Institut. Er erforscht, welche Faktoren schulische Leistungen beeinflussen.