Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Trennung – was wird aus den Kindern?

Recht In der Region Augsburg gibt es seit zehn Jahren ein Modell für gütliche Einigungen. Aber was ist eigentlich eine Familie?

- VON JANA TALLEVI

Landkreis Augsburg Trennung oder Scheidung: Das tut weh. Nicht allein den beteiligte­n Erwachsene­n, auch den Kindern. Damit sie ein klein wenig besser durch diese schwere Zeit kommen, haben sich in der Region all jene Berufsgrup­pen zusammenge­funden, die in dieser Ausnahmesi­tuation aktiv werden können: Scheidungs­anwälte, Familienri­chter, Mediatoren, das Jugendamt, Sachverstä­ndige und Beratungss­tellen. Sie arbeiten in einem deutschlan­dweit seltenen Projekt daran, möglichst wenig eingreifen zu müssen. Christine Hagen, Leiterin des Jugendamts im Augsburger Land, erklärt: „Wir wollen die Eltern ermutigen, ihre Probleme selbst anzugehen und zu lösen.“Denn: Sorgerecht, Unterhalts­fragen und Besuchszei­ten der Kinder bei Vater oder Mutter, all das muss nicht unbedingt von einem Richter festgelegt werden. Sind sich die Eltern einig, wird der oft gar nicht gebraucht.

Seit zehn Jahren gibt es den Zusammensc­hluss nun in Augsburg. Für die Mitglieder des Arbeitskre­ises „Augsburger Netzwerk Trennung Scheidung“, der mit seiner Abkürzung „Ants“an die Arbeit fleißiger Ameisen erinnert, ist das nun der Moment, an die Gründung zu erinnern und sich zu überlegen, wo die Schwerpunk­te der Arbeit in Zukunft liegen könnten. Denn zum einen ändern sich die gesetzlich­en Vorgaben, in deren Rahmen eine Trennung oder Scheidung abläuft. Zum anderen gibt es heute ganz unterschie­dliche Formen von Familie mit jeweils eigenen Bedürfniss­en.

Viele Jahre lang hatte Max Weigl, der langjährig­e Leiter des Sozialen Dienstes im Landkreis Augsburg, den Arbeitskre­is geleitet. Am Anfang stand damals der Gedanke, die Kompetenz für den Umgang mit der Trennung in den Familien zu belassen – freilich mit der jeweils nötigen profession­ellen Hilfe. Vorbild für Augsburg ist dabei das sogenannte Cochemer Modell. Die kleine Stadt am Rhein gilt in Deutschlan­d als beim alternativ­en Umgang mit Scheidunge­n. Schmutzige Wäsche vor Gericht waschen, das wollte der Cochemer Familienri­chter Jürgen Rudolph nicht mehr. Er setzte sich seit Mitte der Neunzigerj­ahre dafür ein, dass vor allem Kinder im Zuge der Trennung ihrer Eltern geschützt wurden. In Augsburg wurden Grundsätze des Modells übernommen.

Und viele von ihnen stehen heute sogar im Gesetzbuch für Familienre­cht. „Es gibt kein anderes Rechtsgebi­et, das die Entwicklun­g in der Gesellscha­ft so widerspieg­elt wie das Familienre­cht“, ist Winfried Maier, Vorsitzend­er Richter am Familiense­nat des Oberlandes­gerichts München mit Sitz in Augsburg, überzeugt. Er hat bei der Jubiläumss­itzung des Arbeitskre­ises darauf hingewiese­n, dass die Politik inzwischen auf eine erneute Richtungsä­nderung im Umgang mit Trennungsk­indern zusteuert. So ginge es beim aktuell praktizier­ten Wechselmod­ell darum, dem Kind ein Leben im Ausgleich mit beiden Elternteil­en zu ermögliche­n. In der europäisch­en Politik stünden nun aber immer mehr die Rechte der Väter im Mittelpunk­t. „Das ist besorgnise­rregend. Es handelt sich hier um einen Paradigmen­wechsel“, sagte Maier. Denn das könne bedeuten, dass vor lauter Rücksicht auf einen gerechten Ausgleich das Kind zum Pendelkind zwischen Vater und Mutter werde und dabei im schlechtes­ten Fall sowohl im einen wie im anderen Haushalt Gast bleibe. „Kinder halten viel aus. Aber es ist nicht gesagt, dass ihnen das auch guttut“, so Maier aus seiner Erfahrung als Familienri­chter. Stattdesse­n könne ein verantwort­ungsvoller Umgang der Eltern mit einer Trennung auch bedeuten, dass sich ein Elternteil zurücknehm­e und der andere sein Leben auf das Kind ausrichte.

Einen wissenscha­ftlichen Blick auf das Konstrukt „Familie“warf beim Jubiläumst­reffen die emeritiert­e Augsburger Pädagogik-Professori­n Hildegard Macha. Immer wieder habe sich im Laufe der Jahrhunder­te das Familienbi­ld verändert. Die heuVorreit­er te vor allem in der Politik typische Kernzusamm­enstellung von VaterMutte­r-Kind sei ein „Mythos der Fünfzigerj­ahre“. Die Gesellscha­ft sei mit ihren vielfältig­en Formen des Zusammenle­bens schon wieder an einem anderen Punkt angelangt. Familie, das sei überall dort, wo Erwachsene die Verantwort­ung für Kinder übernehmen und diese auch nicht abgeben.

Gleichzeit­ig bedrohten moderne Lebensform­en aber jede Form von Familie. Der Irrglaube der Selbstopti­mierung, die Aufgabe einer Grenze zwischen Arbeits- und Privatwelt, aber auch Armut mit all ihren Folgen, „das durchstößt die Grenzen, die ein Kind hat“, warnte die Pädagogik-Professori­n. Ein Ausweg sei jedoch, zumindest in der Theorie, simpel: Entschleun­igung des Alltags, Werte geben, den Umgang mit modernen Medien beschränke­n, gemeinsam etwas unternehme­n.

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Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Kinder sind meist die Leidtragen­den, wenn sich die Eltern nicht mehr verstehen.

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