Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Obama weint
USA II In seiner letzten Rede fordert der scheidende Präsident mehr Solidarität. Die Sorge über die Politik seines Nachfolgers allgegenwärtig
US-Präsident Barack Obama hat in Chicago in seiner Abschiedsrede eine nüchterne, aber hoffnungsvolle Bestandsaufnahme der amerikanischen Demokratie unternommen. Statt einer Rückschau war die Ansprache im Wesentlichen in die Zukunft gerichtet. Seine Erfolge führte der scheidende 44. Präsident vor allem an, um sein Publikum an das Potenzial aktiver Bürgerschaft zu erinnern.
Im größten Konferenzzentrum Nordamerikas, dem McCormick Place in Chicago, liefert das scheidende Staatsoberhaupt eine knapp einstündige Rede, die von Beifallsstürmen wie bei einem Teenagerkonzert begleitet wird. „Vier weitere Jahre!“-Sprechchöre quittiert er mit einem knappen: „Das kann ich nicht tun.“Es ist ein merkwürdiger Schlussakkord. Obama hat traumhafte Zustimmungswerte, doch die Wahl seines Nachfolgers gefährdet große Teile seines politischen Erbes.
Die Überwindung der Finanzkrise, die Rettung der Autoindustrie, das längste Jobwachstum der Geschichte. Der Neubeginn mit Kuba, der Iran-Deal, der Tod Osama bin Ladens. Die Homo-Ehe, Gesundheitsschutz für 20 Millionen Unversicherte: „Wenn ich euch das vor acht Jahren gesagt hätte“, erinnert Obama, „hättet ihr vielleicht gesagt, wir haben unsere Ziele ein bisschen zu hoch gesteckt. Aber das ist es, was wir erreicht haben. Das ist es, was ihr erreicht habt. Ihr wart der Wandel!“
Der Rückblick auf das Erreichte bleibt kurz, denn Obamas Hauptthema ist der Zustand der amerikanischen Demokratie – „unser kühnes Experiment der Selbstverwaltung“. Seinen designierten Nachfolger Donald Trump erwähnt Obama nur einmal, in neutralem Kontext. Er warnt aber vor wachsender wirt- schaftlicher Ungleichheit, der Privilegierung bestimmter Bevölkerungsgruppen und „einer Schwächung der Werte, die unsere Identität ausmachen“. Der Islamische Staat und ausländische Autokraten würden weiterhin versuchen, die USA einzuschüchtern. Aber gewonnen hätten sie erst, wenn die Nation im Abwehrkampf ihre Grundwerte aufgebe. Deshalb kämpfe er für Bürgerrechte und eine Schließung des Anti-Terror-Gefängnisses Guantanamo. „Das ist der Grund, aus dem heraus ich Diskriminierung gegen muslimische Amerikaner ablehne.“Um den amerikanischen Way of Life zu schützen, sei mehr als nur ein starkes Militär notwendig. „Demokratie kann einknicken, wenn wir der Angst nachgeben“, sagt Obama. Angesichts weltweiter Nationalismus-Tendenzen klingt das wie ein Vermächtnis.
„Wenn jedes wirtschaftliche Thema als Kampf zwischen einer hart arbeitenden weißen Mittelschicht und unwürdiger Minderheiten inszeniert wird, dann bleibt Arbeitern aller Hautfarben der Kampf um Brotkrumen, während die Reichen sich weiter in ihre privaten Enklaven zurückziehen.“Alle Beteiligten müssten einander besser zuhören. Weiße Amerikaner müssten anerkennen, dass die Auswirkungen von Sklaverei und Rassentrennung nicht einfach verschwunden seien. Wenn Minderheiten friedlich protestierten, „fordern sie keine Spezialbehandlung, sondern die Gleichbehandlung, die unsere Gründungsväter versprochen haben“. Schwarze und andere Minderheiten müssten ihren Kampf mit dem Kampf von Flüchtlingen verbinden – „und auch mit demjenigen des mittelalten weißen Mannes, der von außen wirken mag, als habe er alle Vorteile, dessen Welt aber von kulturellem und technologischem Wandel auf den Kopf gestellt wurde“. Obama drängte seine Mitbürger, sich der ideologischen Spaltung entgegenzustellen, die die Verständigung im Land zunehmend erschwere.
Zum Taschentuch greifen muss der scheidende Präsident nur einmal: Als er seiner Frau Michelle dafür dankte, dass sie ihm nicht nur Gattin und Mutter der gemeinsamen zwei Töchter war, sondern „mein bester Freund“.
Obama verspricht seinen Landsleuten, künftig als aktiver Bürger an ihrer Seite zu bleiben. Am Ende appelliert er an sie: „Ich bitte euch, zu glauben. Nicht an meine Fähigkeit, Wandel herbeizuführen – sondern an eure. Yes, we can! Yes, we did!“Und noch einmal, in die ungewisse Zukunft gerichtet: „Yes, we can!“