Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Augsburger Weltenradler ist jetzt in Ecuador
Interview Für Uwe Philipp ging es 2016 vom Oman aus über Indien, Nepal nach Kolumbien. Er wurde überfallen, half beim Wiederaufbau nach einem Erdbeben und hatte viele spannende Begegnungen. Was er am meisten vermisst
Sie haben Weihnachten im Nationalpark am Fuße des Vulkans Cotopaxi in Ecuador verbracht. Wie war es, einige Tage vollkommen abgeschnitten vom Geschehen zu sein?
Philipp: Ich finde das herrlich, es ist „Stille Nacht“im wahrsten Sinne. Nur den Vulkan habe ich rumoren gehört.
Der Vulkan ist aktiv. Wie gefährlich ist es, sich in seiner Nähe aufzuhalten?
Philipp: Die Besteigung ist zur Zeit verboten. Es ist aber eher eine Vorsichtsmaßnahme. Vulkanausbrüche sind entlang der Andenkette jederzeit möglich. Damit lebe ich einfach.
Vor einem Jahr haben Sie den Jahreswechsel im Oman verbracht. Jetzt sind Sie in Ecuador. Welche Länder haben Sie auf dem Weg dahin passiert?
Philipp: Ich wollte im Oman bereits den Flug nach Brasilien buchen, als ich mich spontan doch für Indien entschied. Danach ging es weiter nach Nepal und von dort aus nach Kolumbien und nun Ecuador.
Vor allem von Indien sind viele Reisende aus den unterschiedlichsten Gründen beeindruckt. Wie ist es Ihnen ergangen? Hat man es als Radler bei dem Verkehrschaos in Indien leicht?
Philipp: Die Faszination Indien kann ich nur mit magisch und mystisch erklären. Beim Besuch des Mahatma Gandhi Memorial war ich so ergriffen, dass ich glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Auch die Begegnungen mit Gurus, Sadhus, Studenten und Suchenden hatten eine unheimliche Tiefe. Mit dem Radeln hatte ich keine Probleme. Man muss den Verkehr als Spiel und Chance sehen, Selbstbewusstsein zu trainieren. Es erfordert aber eine ständige hohe Konzentration.
Von Indien aus ging es nach Nepal. Welche Begegnungen hatten Sie dort?
Philipp: Mein Traum war es, vor der Annapurna zu stehen: Dort stand ich im Basecamp vor einer 4000 Meter hohen Wand, das fand ich aufregend schön. Auf dem Treck lernte ich viele Menschen aus aller Welt und deren Träume kennen. Das fasziniert mich am Reisen. In der Everest-Region erfuhr ich viel übers Leben in den Familien mit ihren Pflichten und Begrenzungen.
Eigentlich sind dort wahrscheinlich mehr Bergsteiger als Radler unterwegs, oder?
Philipp: Das stimmt, die Straßen sind zwar in einem guten Zustand, doch zu den Gipfeln kommt man nur in mehrtägigen Fußmärschen. Für mich war das eine abwechslungsreiche Kombination. Für Mountainbiker gibt es aber jede Menge Traumtouren.
Das Land erlebte 2015 ein schlimmes Erdbeben und hat sich sicherlich noch nicht davon erholt. Was haben Sie davon noch mitbekommen?
Philipp: Ich hörte von Langtang, einem Bergdorf, das von einer gigantischen Gerölllawine verschüttet wurde und entschloss mich, dort fast vier Wochen beim Wiederaufbau zu helfen. Dort findet man immer noch Vermisste. Es mangelt an Infrastruktur, jeder Sack Zement, jede Glasscheibe muss in einem ZweiTages-Marsch in fast 4000 Meter Höhe hinaufgebracht werden. Helikopter sind teuer und stehen nur selten zur Verfügung. Traditionen und Verwaltung bremsen. Dank vieler privaten Initiativen und Organisationen geht es aufwärts. Für mich war diese Zeit die wertvollste meiner Reise. Mit Freunden gemeinsam an einem sinnvollen Projekt zu arbeiten, erfüllt mich zutiefst.
Von dort aus ging es für Sie mit dem Flugzeug nach Kolumbien. Sie wurden dort gleich am Anfang überfallen. Was ist passiert?
Philipp: Ich wurde mittags mitten in der Stadt von drei Männern mit Messern attackiert und ausgeraubt. Wenig später verschwand auf mysteriöse Weise unter anderem mein Computer aus dem Hostel. Aber ich bin dankbar, dass ich noch lebe. Nachdem Sie sich lange Zeit im Nahen Osten und in Asien aufgehalten hatten, war die Umstellung auf Südamerika sicherlich sehr groß.
Philipp: Die Umstellung war befreiend. Kolumbien und Ecuador sind im Vergleich strukturierter und rücksichtsvoller im Alltag. Das entspannt ungemein. Der menschliche Umgang ist hier aber auch distanzierter. Ich war seit der Türkei schon sehr verwöhnt mit vielen tollen Begegnungen. Doch finde ich auch hier unglaublich herzliche Menschen.
Was ist der größte Unterschied?
Philipp: Das Auffallendste ist die Stellung der Frauen und wie sie behandelt werden. So traf ich beispielsweise gerade eine Gruppe von Rennradsportlerinnen, die auf dem Weg zu einem Langstreckenrennen unterwegs waren. In meinen zuvor bereisten Ländern wäre das völlig undenkbar gewesen.
Sie haben sich vergleichsweise lange in Kolumbien aufgehalten. Warum?
Philipp: Zunächst verbrachte ich drei Monate in Bogotá im „Hostal“, der Überfall hatte mich paralysiert. Doch irgendwann muss man sich seinen Ängsten stellen. Die folgenden drei Monate waren herrlich. Wüste, Vulkane, die Exotik des Regenwaldes und immer wieder diese Freundlichkeit der Menschen haben einen tiefen Eindruck hinterlassen. Hier könnte ich dauerhaft leben.
Was wollen Sie in Ecuador noch machen?
Philipp: Eigentlich wollte ich die Straße der Vulkane entlang nach Süden fahren. Doch ich vermisste das Meer und die Wärme. Und ich hatte Sehnsucht nach dem Pazifik. Im Moment bin ich an der Küste unterwegs und staune über die Flugkünste der Pelikane und lerne viel über das Leben der Fischer.
Wie soll es dann weitergehen?
Philipp: Ab März bin ich in Peru wieder in den Anden, die Küste dort ist berüchtigt. Zunächst geht es nach Huaraz zum Trekken. Vielleicht finde ich auch ein Projekt, bei dem ich mitarbeiten kann. Dann weiter Richtung Cusco mit weniger touristischen Zielen. Ende August will ich dann nach Bolivien reisen. Wie es weitergeht, weiß ich noch nicht.
Ist das Leben in Südamerika teurer als in Ihren zuvor bereisten Ländern?
Philipp: Ja, es ist teurer. Selberkochen lohnte sich in Asien nicht, in Südamerika wird wieder selbst gebrutzelt. Ich ernähre mich fast nur von Gemüse, Reis und Mais. Das sind die Grundnahrungsmittel. Essengehen ist viel teurer als in Asien.
Kommen Sie mit dem von Ihnen veranschlagten Budget von fünf Euro pro Tag nach wie vor zurecht?
Philipp: Zum Großteil ja, in Ballungsgebieten klappt es wegen der Übernachtungskosten aber nicht.
Können Sie in Südamerika campen, oder ist es zu gefährlich?
Philipp: In Nationalparks und am Strand geht es recht gut. Das Problem stellt aber der Großgrundbesitz dar. Fast jeder Millimeter scheint eingezäunt und die, die man fragen kann, haben meist nicht das Entscheidungsrecht.
Verfolgen Sie das aktuelle Geschehen in ihrer Heimatstadt, wie die Evakuierung der Fliegerbombe, über Internet?
Philipp: Ja natürlich. Zumal Freunde von mir betroffen waren. Dass alles gut ging, erfuhr ich von einem Reisemobilisten am Cotopaxi, ich selbst war ja offline.
Was an Deutschland und Augsburg vermissen Sie nach zwei Jahren am meisten?
Philipp: Es sind eher Werte, die ich vermisse: Rücksichtnahme, Servicefreundlichkeit, und die Lärmschutzverordnung. Hier in Südamerika stellt man riesige Lautsprecherboxen vor das Haus und beschallt ganze Orte von morgens bis nachts damit. Interview: Miriam Zissler