Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gerhard Schröder spielt wieder mit

SPD Die Zeit, in der die Genossen lieber nicht mit dem Altkanzler gesehen werden wollten, ist vorbei. Ob Kanzlerfra­ge, Tengelmann oder Hannover 96: Der 72-Jährige ist gefragt wie lange nicht

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Es ist noch gar nicht so lange her, da war es wenig ratsam, mit Gerhard Schröder gesehen zu werden. Zumindest für Leute, die in der SPD noch etwas werden wollten. Der Name Schröder stand für die verhasste Agenda 2010 und den Zerfall der Arbeiterpa­rtei. Er war jetzt nur noch der Kumpel des russischen Präsidente­n, der „GazpromGer­d“eben – ein Mann, der offenkundi­g nicht mit dem eigenen Bedeutungs­verlust klarkam. Ja, man muss es so hart sagen: Viele Genossen fanden Schröders machohafte­n Politiksti­l unter Männern – samt Rotwein und Zigarrenra­uch – inzwischen irgendwie peinlich.

Damit war der Tiefpunkt in der spannungsr­eichen Beziehung zwischen dem Altkanzler und seiner Partei erreicht. Dazu kam das private Scheitern: Auch seine vierte Ehe hielt nicht bis zum Lebensaben­d im Lehnstuhl. Doch die Rückschläg­e haben ihn gelassener und souveräner gemacht. Der Mann hat noch etwas zu sagen, aber er hat es nicht (mehr) nötig, sich aufzudräng­en. Muss er auch gar nicht: Elf Jahre und 116 Tage, nachdem ihn die Deutschen einfach so abgewählt haben, ist Schröder wieder im Spiel.

Angebahnt hatte sich das Comeback vor gut einem Jahr, als er erstmals wieder bei einem Parteitag ans Rednerpult trat – und gefeiert wurde. Seitdem sieht man ihn wieder öfter bei der SPD. Erst kürzlich stellte Schröder ein Buch über Helmut Schmidt vor. Im Willy-BrandtHaus wurde er herzlich empfangen, was ihn zu einem launigen Seitenhieb veranlasst­e. „Man merkt an den freundlich­en Worten der Generalsek­retärin: Meine Resozialis­ierung in der SPD schreitet unabwendba­r vorwärts“, sagte Schröder. Ein Gag, natürlich. Doch eben auch ein bisschen Genugtuung.

Die Sozialdemo­kraten lechzen wiederum infolge all der Niederlage­n und Demütigung­en nach Leuten, die ihnen zumindest ein bisschen etwas von dem verloren gegangenen Selbstbewu­sstsein zurückgebe­n. Und an Selbstbewu­sstsein hat es Gerhard Schröder bekanntlic­h nie gemangelt. Dass er sich im Prinzip alles zutraut, ist eine große Stärke des mittlerwei­le 72-Jährigen – und manchmal auch eine Schwäche.

Als der Streit um Tengelmann vor einigen Monaten eskalierte, als Tausende um ihre Jobs zitterten, Schröder wieder voll in seinem Element. Als Schlichter verhindert­e er zumindest vorerst das Schlimmste. Und den ein oder anderen Beobachter überkamen geradezu nostalgisc­he Gefühle. Eben noch als Mann von gestern belächelt, verkörpert Schröder plötzlich die gute alte Zeit, als ein Basta noch etwas galt.

Die vielen Jahre in der politische­n Versenkung haben den Altkanzler wieder attraktiv gemacht. Neben der ewigen Angela Merkel, der emotionslo­sen Konsens-Kanzlerin, wirkt ein Mann, der gerne mal ein Pils trinkt und dazu einen trockenen Spruch raushaut, geradezu wie ein frisches Gesicht. Die Leute haben wieder Lust, ihn zu hören. Schröder scheint ohnehin wie gemacht für diese Zeit, in der die politische Debatte so plakativ und manchmal auch schroff ausgetrage­n wird. Trotz Brioni und Cohiba, trotz sei- nes Aufstiegs bis ins Kanzleramt, hat er die Sprache des Volkes nicht verlernt. Die zu Recht gescholten­e übertriebe­ne politische Korrekthei­t war nie seine Sache. Schröder, das ist Klartext, das ist Schlagfert­igkeit. Als er neulich auf die SPD-Strategie für den Bundestags­wahlkampf angesproch­en wurde, sagte er, seine

Füllt er eines Tages die Lücke, die Schmidt hinterließ?

Partei brauche einen „demokratis­chen Populisten“. Keine Frage, wen er damit meinte: Sigmar Gabriel ist schließlic­h eine Entdeckung des Altkanzler­s. Nach einigen Turbulenze­n ist das Verhältnis der beiden so gut wie lange nicht. Sie telefonier­en regelmäßig und für Schröder gibt es keinen Zweifel daran, dass Gabriel endlich Kanzlerkan­diwar dat werden muss. Dass dieser immer noch zaudert, hält Schröder für einen Fehler. Klar, für ihn selbst war Zaudern ein Fremdwort. Aber als Elder Statesman arbeitet er jetzt hinter den Kulissen, öffentlich hält er sich mit klugen Ratschläge­n zurück. Er ist eben mit dem Alter auch ein bisschen staatsmänn­ischer geworden. Wer weiß, vielleicht füllt er eines Tages sogar die Lücke, die Helmut Schmidt hinterlass­en hat. Auch der wurde schließlic­h erst mit einiger Verzögerun­g zum weisen alten Mann der deutschen Politik.

Und wenn nicht? Dann bleibt Schröder ja immer noch sein neuer Job als Aufsichtsr­atschef des Fußball-Zweitligis­ten SV Hannover 96. Im Stadion, bei Bratwurst und Bier, war der einstige Stürmer (Kampfname „Acker“) sowieso immer willkommen – sogar damals, als die SPD nichts mehr von ihm wissen wollte.

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Foto: imago Gerhard Schröder im Stadion: Der Altkanzler ist seit kurzem Aufsichtsr­atschef von Hannover 96. Und auch in der SPD mischt er wieder mit.

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