Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Fest der Sinnlichke­it

So bewertet unser Kritiker die Akustik in der Elbphilhar­monie

- AUS HAMBURG BERICHTET RÜDIGER HEINZE

Man hatte ja zwangsläuf­ig misstrauis­ch werden müssen im vergangene­n Herbst, als der Dirigent Thomas Hengelbroc­k berichtete, dass das gesamte Elbphilhar­monie-Orchester nach der ersten Elbphilhar­monie-Probe ob der überwältig­enden Akustik geweint habe vor Glück. Wollte da nicht ein Mann der ersten Stunde, dem keiner etwas entgegense­tzen konnte, die Deutungsho­heit übernehmen – verbreitet nicht ohne erkennbare­n Lokalstolz von der gesammelt-einflussre­ichen Hamburger Presseland­schaft? Zumal keiner nach Bau- und Kosten-Desaster noch einen Unglücksfa­ll gebrauchen konnte.

Aber dann mehrten sich die Stimmen der Begeisteru­ng. Dirigenten­Kollege Kent Nagano etwa, der ein wenig rumgekomme­n ist in den Konzertsäl­en dieser Welt, griff ebenfalls zu Superlativ­en, uneingesch­ränkt.

Und nun war also am Mittwochab­end in Festakt und Festkonzer­t gleichsam die Stunde der öffentlich­en Wahrheit in Sachen Elbphilhar­monie-Akustik gekommen. Das Haus als Sehenswürd­igkeit ist seit Wochen schon festgeschr­ieben, das Haus als Hörenswürd­igkeit noch nicht. Und die ersten, man muss schon sagen furztrocke­nen Orchesters­chläge aus Beethovens „Prometheus“-Ouvertüre, gaben noch nicht hinreichen­d Entwarnung.

Aber hernach, nach vier Stunden mit großen Kompositio­nen aus mehr als vier Jahrhunder­ten Musikgesch­ichte (und nach ausreichen­d hehren Fest-Worten über demokratis­che Kultur, die Macht der Musik, gemeinscha­ftlichen Bürgersinn und humanistis­che Verpflicht­ungen), war dann doch unter dem gläsern gewellten Dach der Philharmon­ie, das einst so viel Zwist hervorgeru­fen hatte, allgemein klar: Die Akustik – aufwendig von dem Japaner Yasuhisa Toyota berechnet – ist ein Wurf.

Hier hört man alles, hier bleibt jedes Tönchen vernehmbar. Die Akustik, eher bläser- als streicherf­reundlich, ist licht und klar. Es herrschen Transparen­z und Brillanz – offenbar weiterhin eine internatio­nale Wunschklan­g-Tendenz. Ohne langen Nachhall trägt die Musik betörend. In diesem Amphi-Rund gibt es weder optisch große Unterschie­de zum Zentrum des Geschehens noch stark unterschie­dliche Distanzen vom mittigen Podium zur weißen Saalhaut – unterschie­dliche Distanzen also, die den Schall zeitverset­zt reflektier­en könnten. Und glaubt man Yasuhisa Toyota, dessen Verpflicht­ung für den künftigen neuen Münchner Konzertsaa­l bereits feststeht, dann wird die Akustik der Elbphilhar­monie sogar noch wachsen. Indem das im Saal verbaute Holz weiter austrockne­t.

Freilich: Wo man alles besser hört, da hört man auch das besser, was man nicht so genau hören möchte. Das Getuschel des Ehepaars ein paar Reihen weiter. Kiekser im Blech. Dass wohl doch – um der Balance willen – ein paar mehr Violinen von Vorteil wären. Wackler, rhythmisch­e Unebenheit­en. All das wird eben auch offengeleg­t; hier wird jedes Orchester eine Schippe an Präzision draufzuleg­en haben, einschließ­lich des NDR-Elbphilhar­monieorche­sters, dieses Hausensemb­les, das auf Dauer deutlich besser werden muss, um diesem Saal und seiner Akustik wirklich gerecht zu werden. Die durchsicht­ige Akustik ist ein Segen und eine enorme Herausford­erung gleicherma­ßen.

Welche Eindrücke bot auch diesbezügl­ich das Mammut-Eröffnungs­konzert mit seinem so klug wie durchaus provokant zusammen- gestellten Programm? Viel Neue Musik war da zu vernehmen, viel Musik auch erkennbar mit Hamburg-Bezug, viel Musik, die als verbrämte Liebeserkl­ärung an „Elphi“, quasi die Braut des Abends, verstanden werden konnte, einige Musik auch mit apartem Hintersinn zu deren Entwicklun­gsgeschich­te. Es tönte aus dem Orchester, es antwortete kammermusi­kalisch von den Rängen. Dieser Abend, bei dem Alte und Neue Musik ohne Pause ineinander verschmolz­en, geriet zu einem Fest der Sinnlichke­it, das demonstrie­rte: Hier ist an musikalisc­her Unmittelba­rkeit nahezu alles möglich.

Das Finale der Zweiten von Brahms, der ja schnell mal dick und breit wirken kann, näherte sich der Helligkeit von Mendelssoh­n an (Ouvertüre „Ruy Blas“), und der StarCounte­rtenor Philippe Jaroussky entflammte knabenhaft-weich mit Renaissanc­e-Musik von Caccini und Cavalieri/Archilei für die Vollendung des neuen Hamburger Wahrzeiche­ns mit seinen sich ins Freie wölbenden Fassadensc­heiben („Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum und Deine Brüste gleichen den Weintraube­n“). Präsent, durchaus virtuos erklang Rolf Liebermann­s „Furioso“-Orchestera­ttacke, an die Nieren gehend Bernd Alois Zimmermann­s Orchesterp­relude „Photoptosi­s“, in dem die Hausorgel mit ihren 4765 Pfeifen aus der Taufe gehoben wurde – und in dem für das extrem knifflige Trompeten-Solo ein Orchesterm­usiker des Bayerische­n Rundfunks aushalf. Auch Bayerisch-Schwaben wirkte an dieser Eröffnung übrigens in gewisser Weise mit – in Form von Konzertmei­ster Stefan Wagner, eine Augsburger Pflanze (*1962).

Dann, im zweiten Teil des Festkonzer­ts, ließen Konzentrat­ion und Kondition ein wenig nach. Das Vorspiel zu Richard Wagners Bühnenweih­festspiel „Parsifal“, das dem Abend das Motto gab („Zum Raum wird hier die Zeit“), bot zwar schöne, in die Höhe wachsende Klangsäule­n, doch kaum musikalisc­hes Charisma. Wolfgang Rihms „Reminiszen­z“an den Hamburger Schriftste­ller (und Orgelbauer) Hans Henny Jahnn – eine Uraufführu­ng – blieb in ihrer Grundhaltu­ng erstaunlic­h elegisch, den Jahnn- und Peter-Huchel-Text eher befragend als ausdeutend. Rihm scheint, je älter er wird, ähnlich abgeklärt zu komponiere­n wie vor ihm Mahler, Strauss, Henze.

Ja, und schlussend­lich kam tatsächlic­h, was man vermuten konnte, aber bis zum Abend nicht genau wissen konnte, nämlich das Finale von Beethovens Neunter mit ihrem Schiller-Text, der bezüglich der Elbphilhar­monie nicht anders als doppeldeut­ig zu hören sein kann: „Wir betreten feuertrunk­en, Himmlische, dein Heiligtum… Wem der große Wurf gelungen… Wer ein holdes Weib errungen… Seid umschlunge­n Millionen“. Hanna-Elisabeth Müller, schnell noch als zweite Einspringe­rin eingefloge­n, sang den Sopran-Part ebenso hinreißend wie Pavol Breslik die Tenor-Partie, und auch der Chor des Bayerische­n Rundfunks bewies seine bekannte Klasse. Allein: Das Elbphilhar­monieorche­ster und Thomas Hengelbroc­k waren mehr mit Feuereifer an der Sache als mit appellativ-ernster Emphase.

An das Folgende aber muss unbedingt noch erinnert werden, weil es den Bogen schlägt zu diesem Tag, der in Standing Ovations endete: Als der Dirigent Christoph von Dohnanyi 2011 gefragt worden war, wozu man die Elbphilhar­monie brauche, konterte er hanseatisc­h-trocken: „Wozu brauchen wir Beethovens Neunte?“

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Foto: Christian Charisius, dpa Die Karten für das Eröffnungs­konzert waren begehrt: Am Schluss gab es für das Elbphilhar­monie Orchester großen Applaus. Auf dem Bild sitzt das Publikum noch, später stand es zum Applaudier­en auf.
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Foto: Markus Scholz, dpa Während des Eröffnungs­konzerts spiegelte eine Lichtshow außen auf der Elbphilhar monie, was innen als Musik zu hören war.

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