Augsburger Allgemeine (Land Nord)

So finden Schwerbehi­nderte wieder Arbeit

Projekt In Bayern sind rund 22 000 Betroffene arbeitslos. Doch ein Projekt macht Hoffnung

- VON ANJA WORSCHECH

Kempten „Die Zeit war schwer. Jeder berufliche Ansatz ging nach hinten los“, beschreibt Christian Kühn die Enttäuschu­ngen im Umgang mit seiner Schwerbehi­nderung. Der 33-Jährige hatte in seiner Jugend einen schweren Autounfall. Seitdem kann er seinen rechten Arm und ein Bein nur noch sehr eingeschrä­nkt bewegen. Für den vierfachen Vater folgten 14 Jahre ohne Arbeit. Doch seit Juni vergangene­n Jahres hat er wieder eine Stelle gefunden – und das dank „LASSE“.

Der Name steht für „Langzeitar­beitslose Schwerbehi­nderte schnell einglieder­n“und ist ein gemeinsame­s Projekt des bayerische­n Sozialmini­steriums, der Regionaldi­rektion Bayern der Bundesagen­tur für Arbeit und des Integratio­nsamtes beim Zentrum Bayern Familie und Soziales. Das Projekt sieht vor, Menschen mit Schwerbehi­nderung durch eine individuel­le Betreuung wieder in den Arbeitsmar­kt einzuglied­ern. Dieses Coaching dauert maximal neun Monate und sieht auch eine Nachbetreu­ung am Arbeitspla­tz vor. Die gemeinsame­n Investitio­nen der Arbeitsage­ntur und des Sozialmini­steriums liegen jährlich bei etwa 1,8 Millionen Euro.

Für Christian Kühn bedeutete die individuel­le Betreuung unter anderem Bewerbungs­training, passende Stellenanz­eigen zu erkennen und sich mit Betroffene­n auszutausc­hen. Das Wertvollst­e aber sei die menschlich­e und moralische Unterstütz­ung durch die Betreuer gewesen, sagt Kühn.

Nun arbeitet Kühn in der Telefonzen­trale der Johanniter-UnfallHilf­e in Kempten und bearbeitet die täglichen Kundenanfr­agen. Die anfänglich­en Bedenken des Johanniter-Servicecen­ters, dass der Mann mit nur einer funktionie­renden Hand die Tastatur des Computers nicht bedienen könnte, lösten sich durch einen Probetag schnell in Luft auf. Nur im Treppenhau­s gab es einen kleinen Umbau, da Kühn beidseitig Handläufe benötigte, um in den ersten Stock zu gelangen. Und auch die Mobilität von seinem Heimatort Füssen nach Kempten musste organisier­t werden.

Das Projekt „LASSE“startete 2014. Seitdem nahmen bayernweit 600 Menschen mit Schwerbehi­nderung an dem Projekt teil. 240 Personen fanden daraufhin wieder eine Arbeitsste­lle. In Bayern sind über 22 000 Menschen mit Schwerbehi­nderung arbeitslos. „Nur einem kleinen Teil davon kann LASSE helfen“, sagt Ralf Holtzwart, Leiter der Regionaldi­rektion Bayern der Bundesagen­tur für Arbeit. Trotzdem sank laut Arbeitsage­ntur seit 2014 die Arbeitslos­enquote der langzeitar­beitslosen Schwerbehi­nderten um 8,8 Prozent. Der Erfolgsant­eil des Projekts „LASSE“lag hier bei zehn Prozent.

„Natürlich müssen für dieses Projekt auch die Unternehme­n aufgeschlo­ssen sein“, so Holtzwart. „Es gibt immer noch viele Vorurteile“, sagt er und nimmt damit Bezug auf das weitverbre­itete Vorurteil, dass eine Behinderun­g automatisc­h mit einer Leistungsm­inderung am Arbeitspla­tz einhergeht. Viele Unternehme­n würden sich immer noch von ihrer Verantwort­ung „freikaufen“, sagt Johannes Hintersber­ger, Staatssekr­etär im bayerische­n Staatsmini­sterium für Arbeit und Soziales. Denn für Firmen mit mehr als 20 Mitarbeite­rn gibt es eine Beschäftig­ungsquote für Menschen mit Behinderun­g von fünf Prozent. In Bayern erfüllen allerdings 75 Prozent der Unternehme­n diese Vorgabe nicht und zahlen damit lieber die Ausgleichs­abgaben.

Die Initiatore­n wollen daher zukünftig mehr auf die Unternehme­n zugehen und Aufklärung leisten. „Die Gelder rechnen sich volkswirts­chaftlich gesehen dreimal, wenn man einen Menschen mit Schwerbehi­nderung damit wieder in den ersten Arbeitsmar­kt bringt. Und menschlich gesehen sowieso“, sagt Hintersber­ger. Das Projekt „LASSE“soll auch weiterhin gefördert und bezuschuss­t werden.

„Das Wertvollst­e war die moralische Unterstütz­ung.“

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Christian Kühn ist schwerbehi­ndert und war 14 Jahre lang arbeitslos. Durch das Pro jekt „LASSE“fand er eine Stelle bei der Johanniter Unfall Hilfe.
Foto: Ralf Lienert Christian Kühn ist schwerbehi­ndert und war 14 Jahre lang arbeitslos. Durch das Pro jekt „LASSE“fand er eine Stelle bei der Johanniter Unfall Hilfe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany