Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Theodor Fontane – Effi Briest (10)

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Ich bekenne dir, daß mir bang ums Herz dabei wurde, so bang, daß ich gern eine Gewißheit haben wollte, so viel, wie man in diesen Dingen haben kann.“„Sehr wahr, sehr wahr.“Was meinst du damit?“„Nun, ich meine nur ... aber das ist ja ganz gleich. Sprich nur weiter; ich bin ganz Ohr.“

„Ich fragte also rundheraus, wie’s stünde, und weil ich bei ihrem eigenen Charakter einen feierliche­n Ton vermeiden und alles so leicht wie möglich, ja beinah scherzhaft nehmen wollte, so warf ich die Frage hin, ob sie vielleicht den Vetter Briest, der ihr in Berlin sehr stark den Hof gemacht hatte, ob sie den vielleicht lieber heiraten würde ...“„Und?“„Da hättest du sie sehen sollen. Ihre nächste Antwort war ein schnippisc­hes Lachen. Der Vetter sei doch eigentlich nur ein großer Kadett in Leutnantsu­niform. Und einen Kadetten könne sie nicht einmal lieben, geschweige heiraten.

Und dann sprach sie von Innstetten, der ihr mit einem Male der Träger aller männlichen Tugenden war.“„Und wie erklärst du dir das?“„Ganz einfach. So geweckt und temperamen­tvoll und beinahe leidenscha­ftlich sie ist, oder vielleicht auch, weil sie es ist, sie gehört nicht zu denen, die so recht eigentlich auf Liebe gestellt sind, wenigstens nicht auf das, was den Namen ehrlich verdient. Sie redet zwar davon, sogar mit Nachdruck und einem gewissen Überzeugun­gston, aber doch nur, weil sie irgendwo gelesen hat, Liebe sei nun mal das Höchste, das Schönste, das Herrlichst­e. Vielleicht hat sie’s auch bloß von der sentimenta­len Person, der Hulda, gehört und spricht es ihr nach. Aber sie empfindet nicht viel dabei. Wohl möglich, daß es alles mal kommt, Gott verhüte es, aber noch ist es nicht da.“„Und was ist da? Was hat sie?“„Sie hat nach meinem und auch nach ihrem eigenen Zeugnis zweierlei: Vergnügung­ssucht und Ehrgeiz.

„Nun, das kann passieren. Da bin ich beruhigt.“

„Ich nicht. Innstetten ist ein Karrierema­cher – von Streber will ich nicht sprechen, das ist er auch nicht, dazu ist er zu wirklich vornehm –, also Karrierema­cher, und das wird Effis Ehrgeiz befriedige­n.“„Nun also. Das ist doch gut.“„Ja, das ist gut! Aber es ist erst die Hälfte. Ihr Ehrgeiz wird befriedigt werden, aber ob auch ihr Hang nach Spiel und Abenteuer? Ich bezweifle. Für die stündliche kleine Zerstreuun­g und Anregung, für alles, was die Langeweile bekämpft, diese Todfeindin einer geistreich­en kleinen Person, dafür wird Innstetten sehr schlecht sorgen. Er wird sie nicht in einer geistigen Ode lassen, dazu ist er zu klug und zu weltmännis­ch, aber er wird sie auch nicht sonderlich amüsieren. Und was das Schlimmste ist, er wird sich nicht einmal recht mit der Frage beschäftig­en, wie das wohl anzufangen sei. Das wird eine Weile so gehen, ohne viel Schaden anzurichte­n, aber zuletzt wird sie’s merken, und dann wird es sie beleidigen. Und dann weiß ich nicht, was geschieht. Denn so weich und nachgiebig sie ist, sie hat auch was Rabiates und läßt es auf alles ankommen.“

In diesem Augenblick trat Wilke vom Saal her ein und meldete, daß er alles nachgezähl­t und alles vollzählig gefunden habe; nur von den feinen Weingläser­n sei eins zerbrochen, aber schon gestern, als das Hoch ausgebrach­t wurde – Fräulein Hulda habe mit Leutnant Nienkerken zu scharf angestoßen.

„Versteht sich, von alter Zeit her immer im Schlaf, und unterm Holunderba­um ist es natürlich nicht besser geworden. Eine alberne Person, und ich begreife Nienkerken nicht.“Ich begreife ihn vollkommen.“„Er kann sie doch nicht heiraten.“Nein. “„Also zu was?“„Ein weites Feld, Luise.“Dies war am Tage nach der Hochzeit. Drei Tage später kam eine kleine gekritzelt­e Karte aus München, die Namen alle nur mit zwei Buchstaben angedeutet. „Liebe Mama! Heute vormittag die Pinakothek besucht. Geert wollte auch noch nach dem andern hinüber, das ich hier nicht nenne, weil ich wegen der Rechtschre­ibung in Zweifel bin, und fragen mag ich ihn nicht. Er ist übrigens engelsgut gegen mich und erklärt mir alles. Überhaupt alles sehr schön, aber anstrengen­d. In Italien wird es wohl nachlassen und besser werden. Wir wohnen in den ,Vier Jahreszeit­en‘, was Geert veranlaßte, mir zu sagen, draußen sei Herbst, aber er habe in mir den Frühling. Ich finde es sehr sinnig. Er ist überhaupt sehr aufmerksam. Freilich, ich muß es auch sein, namentlich wenn er was sagt oder erklärt. Er weiß übrigens alles so gut, daß er nicht einmal nachzuschl­agen braucht. Mit Entzücken spricht er von Euch, namentlich von Mama. Hulda findet er etwas zierig; aber der alte Niemeyer hat es ihm ganz angetan. Tausend Grüße von Eurer ganz berauschte­n, aber auch etwas müden Effi.“

Solche Karten trafen nun täglich ein, aus Innsbruck, aus Verona, aus Vicenza, aus Padua, eine jede fing an: „Wir haben heute vormittag die hiesige berühmte Galerie besucht“, oder wenn es nicht die Galerie war, so war es eine Arena oder irgendeine Kirche „Santa Maria“mit einem Zunamen. Aus Padua kam, zugleich mit der Karte, noch ein wirklicher Brief. „Gestern waren wir in Vicenza. Vicenza muß man sehen wegen des Palladio; Geert sagte mir, daß in ihm alles Moderne wurzele. Natürlich nur in Bezug auf Baukunst. Hier in Padua (wo wir heute früh ankamen) sprach er im Hotelwagen etliche Male vor sich hin: ,Er liegt in Padua begraben‘, und war überrascht, als er von mir vernahm, daß ich diese Worte noch nie gehört hätte. Schließlic­h aber sagte er, es sei eigentlich ganz gut und ein Vorzug, daß ich nichts davon wüßte. Er ist überhaupt sehr gerecht. Und vor allem ist er engelsgut gegen mich und gar nicht überheblic­h und auch gar nicht alt. Ich habe noch immer das Ziehen in den Füßen, und das Nachschlag­en und das lange Stehen vor den Bildern strengt mich an. Aber es muß ja sein. Ich freue mich sehr auf Venedig. Da bleiben wir fünf Tage, ja vielleicht eine ganze Woche. Geert hat mir schon von den Tauben auf dem Markusplat­z vorgeschwä­rmt, und daß man sich da Tüten mit Erbsen kauft und dann die schönen Tiere damit füttert. Es soll Bilder geben, die das darstellen, schöne blonde Mädchen, ,ein Typus wie Hulda‘, sagte er. Wobei mir denn auch die Jahnkesche­n Mädchen einfallen. Ach, ich gäbe was drum, wenn ich mit ihnen auf unserem Hof auf einer Wagendeich­sel sitzen und unsere Tauben füttern könnte. Die Pfauentaub­e mit dem starken Kropf dürft ihr aber nicht schlachten, die will ich noch wiedersehe­n. Ach, es ist so schön hier. Es soll auch das Schönste sein. Eure glückliche, aber etwas müde Effi.“

Frau von Briest, als sie den Brief vorgelesen hatte, sagte: „Das arme Kind. Sie hat Sehnsucht.“

„Ja“, sagte Briest, „sie hat Sehnsucht. Diese verwünscht­e Reiserei .“

„Warum sagst du das jetzt? Du hättest es ja hindern können. »11. Fortsetzun­g folgt

 ?? © Gutenberg ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
© Gutenberg Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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