Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Schlauch reguliert die Paar
Hochwasserschutz Das neue Schlauchwehr am Fluss in Aichach hat eine Lebensdauer von 40 Jahren. Die Technik ist „simpel und faszinierend“und wurde in Kalifornien erfunden. Was das Besondere daran ist
Ein großer Vorteil: Da kann gar nichts rosten
Der Schutz vor Hochwasser ist wichtig, sehr wichtig. Gerade in den vergangenen Jahren zeigte sich oft genug, dass nicht nur an der Donau oder an reißenden Flüssen, sondern auch in der Region Augsburg Handlungsbedarf besteht. Beispielsweise in Aichach an der Paar. Solche Maßnahmen sind mit enormem Aufwand verbunden. Das gesamte Projekt Hochwasserschutz kostet neun Millionen Euro, allein 1,5 Millionen Euro davon fließen in den Bauabschnitt drei, der jetzt weitgehend fertiggestellt wurde und in dessen Mittelpunkt ein sogenanntes Schlauchwehr steht.
Viele Hürden waren zu überspringen, etwa beim Erwerb von Grundstücken. Bei der Inbetriebnahme der neuen Anlage konnte Aichachs Bürgermeister Klaus Habermann dennoch festhalten: „Es hat sich in jedem Fall mehr als gelohnt.“Dass man bei diesem Projekt keinesfalls von Luxus reden kann, das wurde auch schon während der Arbeiten deutlich. „Wir hatten zweimal mittleres Hochwasser“, berichtete Konrad Schörger vom Wasserwirtschaftsamt in Donauwörth, der als Projektleiter fungiert. Er wird sicher noch einige Male in Aichach nach dem Rechten sehen. Das Projekt Hochwasserschutz insgesamt soll Mitte 2017 weitgehend fertig sein.
Das neue Schlauchwehr an der Aktienkunstmühle reguliert nun die Wassermenge, die das Wehr am daneben liegenden Kraftwerk vorbei passiert. Dafür ist ein riesiger Schlauch zuständig, der an der Sohle und an den Seitenwänden montiert wurde und mit Wasser gefüllt ist. Der Schlauch hat einen Durchmesser von 2,5 Meter und eine Länge von acht Metern, im Normalzustand fasst er 48 Kubikmeter Wasser. Wenn der Wasserspiegel an der Paar so stark ansteigt, dass mit Hochwasser zu rechnen ist, und mit all den höchst unangenehmen Folgen, so wird Wasser aus dem Schlauch abgelassen. Auf diese Weise wird der Durchmesser des Schlauches geringer, mehr Wasser kann das Wehr passieren und der für den Hochwasserfall gedachte parallele Flutkanal in Aichach wird entlastet.
Wenn sich der entleerte Schlauch senkt, dann können auch Hochwasserschäden am Wehr (beispielsweise durch mittreibende Bäume) weitestgehend vermieden werden. Der Vorteil von Schlauchwehren gegenüber höhenverstellbaren Wehren liegt auch in der vergleichsweise einfachen Konstruktionsweise und dem geringen Wartungsaufwand. Ein Schlauchwehr kommt ohne komplexe und teure Antriebstechnologie (Hydraulikzylinder oder Kettenantriebe) sowie Lager aus. Auch ein aufwendiges Fundament ist nicht notwendig.
Diese Vorteile und der Zugewinn an Sicherheit hatten dazu geführt, dass sich das Wasserwirtschaftsamt in Donauwörth und die Stadt Aichach für diese Variante entschieden. Bisher kamen an der Aktienmühle in der Sekunde zwischen drei und fünf Kubikmeter Wasser an. Seit der Inbetriebnahme des Schlauchwehrs können 28 Kubikmeter pro Sekunde bewältigt werden. Diese Zahlen verdeutlichen, warum die Experten behaupten, dass Aichach nun für ein Hochwasser gerüstet ist, wie es alle 100 Jahre zu befürchten ist. Klaus Habermann nannte die Technik „simpel wie faszinierend“.
Rudolf Fritsch, Geschäftsführer von Hydro Construct in Steyr (Österreich), wies bei der Vorstellung darauf hin, dass es in Europa nur noch ein zweites Unternehmen gibt, das in der Lage ist, solche Vorhaben auf den Weg zu bringen. Derzeit plant und baut die Firma ein 270 Meter langes Schlauchwehr in Indien. Er betonte, dass die Anlage eine Lebensdauer von mindestens 40 Jahre hat: „Bei uns kann nichts rosten.“
Das verwendete Schlauchmaterial stammt von einem der größten Gummi-Produzenten in Europa. Im Winterbetrieb wird das Innere des Schlauchs durch Umwälzen und Durchpumpen eisfrei gehalten. Eine dreifache Sicherheitsautomatik gehört zur Ausstattung. Zudem sei der Winterbetrieb problemlos zu bewältigen. Ein erstes wassergefülltes Schlauchwehr wurde bereits Mitte der Fünfzigerjahre in den USA errichtet. Als Erfinder der Technologie gilt ein Wasserbauingenieur aus Kalifornien.