Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Laufend auf der Suche nach Freiheit

Sportskano­nen Yossief Tekle war Junioren-Weltmeiste­r in Eritrea. Nun wartet der Asylbewerb­er verzweifel­t auf seinen Pass. Warum das Dokument so wichtig für ihn ist

- VON CHRISTIAN KRUPPE

Es hätte alles schön sein können für Yossief Tekle. Der junge Eritreer war in seiner Heimat auf dem Weg, ein Star zu werden. Denn Tekle ist Läufer, ein in Afrika auf sehr hohem Niveau angesiedel­ter Sport. Er startete internatio­nal, wurde 2010 Berglauf-Juniorenwe­ltmeister. Seine internatio­nale Sportkarri­ere nutzte er für einen Lauf in die Freiheit. Er führte ihn in eine Asylunterk­unft an der Hochstraße in Bobingen.

In seiner Heimat hatte Yossief Tekle politische Probleme bekommen. Obwohl er sich erneut für internatio­nale Titelkämpf­e qualifizie­rt hatte, wurde er seltener nominiert. „Als ich fragte, warum, kam ich ins Gefängnis“, erzählt der inzwischen 24-Jährige. Gründe dafür erfuhr er nie. Doch für den Läufer war klar, dass er nicht mehr in seiner Heimat bleiben wolle. Zu unsicher sei die Lage gewesen. Seine Angst, wieder bestraft zu werden, nur weil er etwas hinterfrag­t, war groß.

So nutzte Yossief Tekle eine Chance. Vor etwas mehr als drei Jahren nahm er bei einem Wettkampf in Frankfurt die Gelegenhei­t wahr, um sich abzusetzen. Er war nicht alleine. Einige andere Läufer aus Eritrea taten ihm gleich. „Ich war da ein wenig naiv“, gibt er rückblicke­nd zu. Zunächst ging er mit seinen Sportkamer­aden nach Norwegen. „Die sagten, dort haben Kontakte“. Doch in Norwegen durfte er nur kurz bleiben. Als er politische­s Asyl beantragen wollte, wurde er zurück nach Deutschlan­d geschickt, da er hier zuerst europäisch­en Boden betrat.

Damit begann seine Odyssee. In München wurde er erfasst, musste seinen Pass abgeben. Auf den wartet er immer noch. Seit drei Jahren. Für den Läufer Tekle ist das ein großes Problem. „Ich werde zu internatio­nalen Läufen eingeladen, kann aber nicht hin“, klagt er. „Wenn ich ausreisen dürfte, könnte ich auch in der Höhe trainieren, was für Läufer ganz wichtig ist“, erklärt er. Denn dann wäre die Chance groß, dass Tekle wieder auf internatio­naler Ebene ganz vorne mitläuft. Und das bringt Preisgelde­r und Sponsoren. „Ich wollte unbedingt nach Deutschlan­d, um in Freiheit leben zu können. Doch ohne Pass ist das sogar hier nicht möglich“, bedauert er.

Wann er seinen Pass bekommt, weiß er nicht. Solange kann er nur in Deutschlan­d trainieren und laufen. Das macht er erfolgreic­h. Am letzten Tag des Jahres 2016 hat er den Gersthofer Silvesterl­auf gewonnen. Aber das reicht ihm nicht. Er möchte wieder zurück zur Weltspitze. „Dazu brauche ich einen Trainer und einen Pass“, so Tekle.

Den Trainer hat er gefunden. Durch einen glückliche­n Umstand. Denn nach seiner Erfassung in München kam er zunächst nach Zusmarshau­sen. Dort suchte er nach einer Trainingsm­öglichkeit und wurde entdeckt. „Ich bekam einen Anruf von einem befreundet­en Trainer, der mir von Yossief erzählte“, erzählt Franz Herzgsell. Der pensionier­te Lehrer traf sich mit Tekle und erkannte sofort das außergewöh­nliche Talent des Flüchtling­s. Seitdem startet der 24-Jährige für die LG Reischenau-Zusamtal.

Inzwischen lebt Yossief Tekle in einem Zimmer in Bobingen, verbringt aber viel Zeit bei Franz Herzgsell in Dinkelsche­rben. Der ist für den Eritreer inzwischen mehr als ein Trainer. Der Lehrer unterricht­et seinen Schützling, ergänzt das, was Tekle in den Deutschkur­sen und nun in der Schule lernt. „Er hat einen großen Willen, den B1-Sprachtest schnell bestanden“, so Herzgsell, den Tekle im breitesten schwäbisch „Babba“nennt.

Inzwischen hat Tekle den Status „geduldet“. Aber immer noch keinen Pass. Momentan geht er auf die Berufsschu­le. Lernt Deutsch, Mathe und praktische­s Arbeiten mit Holz und Metall. Bei einem Schreiner hat er ein Praktikum absolviert. Die Arbeit hat ihm gefallen, er könnte dort vielleicht eine Ausbildung beginnen. Doch noch ringt der Eritreer mit sich. „Am liebsten würde ich in einem Sportgesch­äft arbeiten“, sagt er. Und noch lieber würde er wieder Laufen. Als Profi. „Das ist mein Ziel, mein Traum“. Doch ohne seinen Pass ist dies unerreichb­ar. „Für mich ist der Pass eine grosie ße Sache in meinem Leben, für die Behörden nur ein Stück Papier“, stellt er frustriert fest.

„Keiner kann uns sagen, warum das so lange dauert und wie lange wir noch warten müssen“, sagt Franz Herzgsell. Auch Yossief Tekle kann es nicht verstehen. Für ihn ist es vor allem bitter, immer wieder sehen zu müssen, dass andere Flüchtling­e, die nach ihm gekommen sind, ihre Papiere schon lange haben. Momentan ist er auf Unterstütz­ung vom Staat angewiesen. „Mit dem Pass hätte ich die Gelegenhei­t, für mich selbst zu sorgen“, sagt Tekle. Dann könnte er sich auch eine eigene Wohnung leisten. Eigentlich müsste er die Unterkunft in Bobingen schon verlassen haben. Aber der Wohnungsma­rkt ist für ihn leer gefegt. „Ich würde gerne eine eigene Wohnung haben und arbeiten. Dann kann ich auch noch besser Deutsch lernen“, so der Läufer – obwohl seine sprachlich­en Fähigkeite­n, auch dank seines „Babbas“Franz Herzgsell, sehr ordentlich sind. Sein Bild von Freiheit ist das Laufen bei internatio­nalen Wettbewerb­en – ohne Grenzen mit Passkontro­lle.

Für mich ist der Pass eine große Sache in meinem Leben, für die Behörden nur ein Stück Papier.“

 ?? Foto: Christian Kruppe ?? Für den Berglauf Juniorenwe­ltmeister Yossief Tekle (links) ist Franz Herzgsell viel mehr als nur Trainer und Lehrer. Den Pensionär nennt der Flüchtling aus Eritrea liebevoll „Babba“.
Foto: Christian Kruppe Für den Berglauf Juniorenwe­ltmeister Yossief Tekle (links) ist Franz Herzgsell viel mehr als nur Trainer und Lehrer. Den Pensionär nennt der Flüchtling aus Eritrea liebevoll „Babba“.

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