Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie viel Widerstand darf ein Theater leisten?
Vortrag Der künftige Intendant André Bücker erzählt von den Kämpfen mit der Politik in seiner Zeit in Sachsen-Anhalt
Darf ein durch öffentliche Gelder gefördertes Theater gegen die öffentlichen Institutionen, die es fördert, Widerstand leisten? Und wie darf so ein Widerstand aussehen? Und was wird aus einem Theaterintendanten, der einen solchen Widerstand leistet? Diese Fragen beantwortete der künftige Augsburger Theaterintendant André Bücker, 47, derart, dass er einfach mal aus dem Nähkästchen plauderte, das heißt aus seiner Zeit als Theaterintendant am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt und Quedlinburg (von 2005 bis 2008) und am Anhaltischen Theater in Sachsen-Anhalt (2009 bis 2015).
Eingeladen zu diesem Vortrag hatten die Volkshochschule Augsburg und die Universität Augsburg in ihrer Vortragsreihe Studium Generale, die dieses Semester unter dem Thema „Widerstand“steht. Der Vortrag des künftigen Intendanten im Filmsaal des Zeughauses war der bislang bestbesuchte der Reihe. Was wiederum heißt: Das Interesse an Bücker ist in der Stadt hoch.
Der designierte Intendant las das, was er zu sagen hatte, nicht vom Blatt ab, vielmehr erzählte er in freier Rede dem Publikum, wie und warum das in Sachsen-Anhalt („im wilden Osten“) so war, wie es war. Politisch engagiert sei er schon immer gewesen, schon als Schüler, erst recht als Student und dann eben auch als Theaterregisseur und später als Theaterintendant.
Also, warum hat der Theaterintendant des Nordharzer Städtebundtheaters plötzlich eine sehr entschiedene und konkrete Agenda gegen rechtsradikale Gewalt? Da gab es ein Schlüsselerlebnis nach der Premiere der „Rocky Horror Show“. Es wurde gefeiert. Irgendwann verabschiedete sich der Intendant, andere Mitwirkende hatten noch Ausdauer und machten weiter. Mitten in der Nacht bekam Bücker einen Anruf – man erzählte ihm, „dass sieben Mitglieder des Ensembles auf dem Weg in eine weitere Bar von Neonazis zusammengeschlagen worden seien“. Er eilte ins Krankenhaus, leistete dort Beistand und war schockiert, als er bemerkte, dass die Polizei sich um diesen Fall nicht kümmern wollte. Also schaltete er sich ein, machte Druck auf die Polizei, auch auf die Stadt und setzte sowohl auf der Bühne als auch in der Stadt deutliche Zeichen rechtsradikale Gewalt.
Erbitterten, dabei aber kreativen und gewitzten Widerstand leisteten er und sein Anhaltisches Theater Dessau, als die Landersregierung beschloss, Zuschüsse zu sparen und dazu ganze Sparten zu schließen. Möglich war das auch, weil die Vertreter der Stadt und auch die Bürger die Sparpläne vehement ablehnten. „Die Menschen wollten sich ihre Theatertradition nicht zusammenstreichen lassen und sich nicht von Magdeburg aus sagen lassen, wie Theater zu denken ist“, sagte Bücker. Eine der Protestaktionen hieß: Pflöcke einschlagen. Die Bürger gegen waren aufgefordert, mit Seilen und Pflöcken zu kommen, um das Theater fest in der Stadt zu verankern. Rund 3500 Menschen legten an dem Tag Hand an. Bücker erzählte auch, wie das Theater unter dem Motto „Ich habe eine Posaune und habe keine Angst sie zu benutzen“an sieben aufeinanderfolgenden Tagen um den Landtag in Magdeburg marschierte und mit Posaunen die Landespolitiker an das biblische Jericho erinnerte.
Dieser Widerstand trug in so weit Früchte, dass alle Sparten des Hauses erhalten werden konnten. Allerdings zeigte sich die Landesregierung persönlich getroffen vom Protest des Theaters. „Mein Abgang aus Dessau war nicht ganz freiwillig“, berichtete Bücker. Nachdem Dessau einen neuen Bürgermeister gewählt hatte und Bückers Vertrag zur Verlängerung anstand, überzeugte die Landesregierung den neuen ersten Mann der Stadt Dessau davon, doch bitte jemand anderen an die Spitze des Hauses zu berufen.
Wie sich diese Erfahrungen auf seinen ersten Augsburger Spielplan auswirken, wollte Bücker (noch) nicht verraten. Im März werde er dem Kulturausschuss und der Öffentlichkeit seine Pläne vorstellen. Ganz allgemein sagte er: „Theater braucht eine Haltung.“