Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mit seinem Blut will er Leben retten
Porträt Atakan Palandöken ist Stammzellspender. Der 22-Jährige erzählt, was er auf dem Weg zum potenziellen Lebensretter alles erlebt hat. Warum bei jungen Menschen die Typisierung besonders sinnvoll ist
Als im März 2012 an der KapellenMittelschule in Oberhausen eine Typisierungsaktion der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) stattfand, ließ sich auch Zehntklässler Atakan Palandöken ein paar Tropfen Blut abnehmen. Seither führt der junge Mann einen Ausweis mit sich, auf dessen Rückseite „Ich bin bereit, Leben zu retten“steht. Der heute 22-Jährige reiht sich damit in die gewaltige Schar von fast fünf Millionen Menschen allein in Deutschland ein, die bei der DKMS als potenzielle Stammzellspender Menschen helfen wollen, die an Blutkrebs oder einer anderen lebensbedrohlichen Erkrankung des blutbildenden Systems leiden. Täglich werden etwa 18 Stammzelltransplantate an Patienten im In- und Ausland vermittelt. Nach aktuellen Zahlen wird jeder 100. Typisierte zum Spender. Atakan Palandöken ist einer von ihnen.
Auch wenn die Nachricht, er komme als Spender in Frage, schon ein dreiviertel Jahr zurückliegt, erinnert sich der Lokomotivführer noch immer minutiös daran. Ebenso an die Wochen, die zwischen einer Blutentnahme für einen Gewebetest und der endgültigen Zusage der DKMS lagen, dass er tatsächlich der geeignete Spender sei: „Ich bin damals von der Spätschicht nach Hause gekommen und vor Glück fast explodiert.“Starke Worte für einen ansonsten eher zurückhaltenden jungen Mann.
Im Juli schließlich fuhr Palandöken zum ausführlichen Gesundheitscheck ins Entnahmezentrum nach Köln. Dass die eigentliche Stammzellspende mehrmals verschoben wurde, lag am Gesundheitszustand der Empfängerin. „Das war schon ein Haufen Stress“, sagt der 22-Jährige rückblickend. Im November stand schließlich der Termin fest. Zur Vorbereitung musste sich Atakan Palandöken fünf Tage lang ein Hormon verabreichen lassen, das die Stammzellen vermehrt. Anders als viele, die davon gar nichts spüren, fühlte sich der junge Mann, als ob er eine Grippe hätte: „Ich habe damals jeden einzelnen Knochen gespürt, aber ich war glücklich.“
Die Spende selbst hat seine Mutter Hülya Solak mit Fotos dokumentiert. Sie engagiert sich ehrenamtlich bei der DKMS und hat ihren Sohn nach Köln begleitet. Sie war dabei, wie ihm zwei Venenzugänge gelegt wurden für die Spende. Diesen Vorgang kann man sich als eine Art Blutwäsche vorstellen, bei der die Stammzellen herausgefiltert werden. Bei Atakan Palandöken hat das etwa vier Stunden gedauert. „Es hat nicht wehgetan“, versichert er. Als die Nachricht kam, dass die Spende ausreichend sei, habe er sich super gefühlt. „Mir ging es danach top.“ Kurierdienst stand bereit, um die Beutel mit den vielleicht lebensrettenden Stammzellen zu der Empfängerin zu bringen. Palandöken hat erst nach der Entnahme erfahren, dass es sich dabei um eine 68-jährige Frau handelt, die in Belgien lebt.
Er hofft, bald bei der DKMS herauszufinden, ob die Transplantation erfolgreich war. Die Frau kennenlernen wird er wohl nicht. Strenge Datenschutzbestimmungen in einigen Ländern, zu denen auch Belgien zählt, verhindern den persönlichen Kontakt. Atakan Palandöken weiß aber, dass er bei Bedarf nochmals für seinen genetischen Zwilling zum Lebensretter werden kann. „Ich darf mich nach zwei Jahren Pause wieder freischalten lassen“, sagt er. „Und ich würde auch jederzeit wieder spenden.“
Dass der junge Mann von seiner Spende an dem Ort erzählt, an dem alles begann, kommt nicht von un- gefähr: Brigitte Lehenberger hat den Pressetermin in die Wege geleitet. Sie ist nicht nur Sekretärin an der Kapellen-Mittelschule. Als ehrenamtliche Beauftragte der DKMS organisiert sie seit vielen Jahren auch Typisierungsaktionen, um die Kartei der möglichen Spender – und damit die Überlebenschance für ErDer krankte – weiter zu erhöhen. Wenn, wie vor fünf Jahren an ihrer Schule, besonders viele junge Menschen dem Aufruf folgen, ist das sehr erfreulich. „Jüngere Registrierte werden etwa zwei- bis dreimal so häufig zu Stammzellspendern wie Ältere“, weiß Lehenberger. Grund sei der im Allgemeinen bessere körperliche Zustand. Auch dass sich Menschen unterschiedlicher Herkunft typisieren lassen, spielt der DKMS in die Karten. Ein Leukämiekranker ist häufig auf einen Spender gleicher Abstammung angewiesen. So sei es gut möglich, dass die Empfängerin von Palandökens Stammzellen wie er türkische Wurzeln hat.
Die Empfängerin wird er wohl nie kennenlernen