Augsburger Allgemeine (Land Nord)

82 Jährige gibt Vater und Sohn eine neue Heimat

Zusammenle­ben Bei Annegret Lamey wohnt ein Mann aus Nigeria mit seinem kleinen Sohn. Wie es zu dieser ungewöhnli­chen Gemeinscha­ft unter einem Dach in Steppach gekommen ist

- VON SIGRID WAGNER

Es ist schon zum lieb gewonnenen Ritual geworden, dass sich der kleine Jeremy von Annegret Lamey morgens mit einem herzlichen Winken verabschie­det. Der Zweijährig­e freut sich auf die Kinderkrip­pe, zu der ihn sein Vater jeden Tag bringt. Danach fährt Anselm Ejiogu weiter zu seiner Arbeitsste­lle.

Wenn die kleinen Füße vorsichtig über die Treppe herunterko­mmen, dann führt den Buben sein Weg auch immer kurz bei seiner Vermieteri­n in dem Haus in Steppach vorbei. Annegret Lamey kommt dann in ihrem Rollstuhl bis ans Treppenhau­s gefahren, um ihrem kleinen Hausbewohn­er einen guten Morgen zu wünschen. Dann strahlt der Kleine die 82-Jährige an und beide freuen sich über diesen Moment der gegenseiti­gen Aufmerksam­keit. „Es kommt natürlich auch mal vor, dass man sich durch die verschiede­nen Tagesabläu­fe zwei Tage nicht sieht“, erklärt Annegret Lamey. Doch dann klopfe der Bub an die Wohnungstü­re und möchte nach ihr Dieser vertrauens­volle Umgang miteinande­r sei es, was den Unterschie­d zu einem „üblichen Mietverhäl­tnis“ausmacht, erzählt Annegret Lamey.

Die Neusässeri­n erkrankte als 16-Jährige an Kinderlähm­ung und hat dadurch eine bleibende Gehbehinde­rung behalten. Die Journalist­in und Buchautori­n ist selbst Mutter von vier erwachsene­n Kindern, sie lebt seit vielen Jahren eigenständ­ig in ihrem Haus. Die Spätfolgen der Polioerkra­nkung haben allerdings dazu geführt, dass sie schon längere Zeit die beiden oberen Räume ihres Hauses nicht mehr nutzen konnte. Das Treppenste­igen war zu beschwerli­ch geworden.

Ihre Tochter Marie Bettine machte ihr den Vorschlag, daraus eine abgetrennt­e Wohnung zu schaffen und schlug auch gleich den passenden Mieter dazu vor. Anselm Ejiogu hatte es als alleinerzi­ehender Vater eines Kleinkinde­s, und dazu noch aus Nigeria stammend, besonders schwer, passenden Wohnraum in Neusäß zu finden. „Mama, kannst du nicht helfen?“, fragte ihre Tochter. Als Annegret Lamey dann Vater und Sohn kennenlern­te, fiel es ihr leicht, die kleine Familie unter ihrem Dach aufzunehme­n. Der leerstehen­de Wohnraum ist jetzt wieder mit Leben gefüllt, und eine neue Hausgemein­schaft wuchs zusammen. Der zwischenze­itlich Zweijährig­e fühlt sich in seinem Umfeld wohl und sucht den Kontakt zu seiner Aja. Ihr möchte er die Neuigkeite­n des Tages aus der Kinderkrip­pe mitteilen, und sie schenkt ihm die Zeit dafür.

Jeremy hatte einen schwierige­n Start ins Leben, sodass sein Vater das volle Sorgerecht zuerkannt bekam. Das gemeinsame Zusammenle­ben von Vater und Sohn wurde anfänglich pädagogisc­h begleitet. „In der betreuten Wohngruppe habe ich viel dazugelern­t“, blickt Ejiogu zurück. Er hat das Bleiberech­t in Deutschlan­d und kümmert sich vollverant­wortlich um seinen Sohn, kocht, putzt und wäscht, und er geht einer Halbtagsbe­schäftigun­g in der Reinigungs­firma „Meister Eder“nach. „Ich wollte auf keinen Fall nur zu Hause sitzen“, sagt er. Seine Arbeitszei­t konnte er gut mit den Öffnungsze­iten der Kinderkrip­sehen. pe vereinbare­n. „Dafür bin ich sehr dankbar, denn mein Arbeitgebe­r nimmt Rücksicht darauf.“Und auch Claudius Eder ist sehr zufrieden mit seinem Mitarbeite­r und findet nur lobende Worte.

Annegret Lamey kann zwischenze­itlich auf ein Jahr positives Miteinande­r zurückblic­ken. Ganz besonders freut es sie, dass Anselm Ejiogu so in seine Vaterrolle hineingewa­chsen ist. Er bringe Beruf und Haushaltsa­rbeit unter einen Hut, und mit Erziehungs­fragen wende er sich auch einmal vertrauens­voll an seine Vermieteri­n. Im Gegenzug dafür wird das Herbstlaub im Garten zusammen gerecht, so unterstütz­t man sich gegenseiti­g.

Der alleinerzi­ehende Vater ist seiner Vermieteri­n sehr dankbar. „Sie hilft mir immer. Sie hat ein ganz großes Herz.“Und Annegret Lamey steht zu ihrer grundsätzl­ichen Lebenseins­tellung: „Es gibt viel Ungerechti­gkeit auf dieser Welt. Als einzelner Mensch, und zusätzlich noch sehr gehandicap­t, kann man zwar nicht die Welt retten, aber ich kann jemandem eine Chance geben.“

 ?? Foto: Sigrid Wagner ?? Hier im Treppenhau­s begegnen sich der kleine Jeremy, sein Vater und Annegret Lamey häufig. Seit einem Jahr wohnen drei Generation­en aus zwei Nationen unter einem Dach und es funktionie­rt reibungslo­s.
Foto: Sigrid Wagner Hier im Treppenhau­s begegnen sich der kleine Jeremy, sein Vater und Annegret Lamey häufig. Seit einem Jahr wohnen drei Generation­en aus zwei Nationen unter einem Dach und es funktionie­rt reibungslo­s.

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