Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Spukt hier der Baron von anno dazumal?

Ortstermin Evelyn Strass’ Urururgroß­vater kaufte das Untermeiti­nger Schloss einst direkt von der Augsburger Patrizierf­amilie Imhof. Heute kümmert sie sich mit ihrem Mann um das große Anwesen

- VON STEFFI BRAND (TEXT) UND MARCUS MERK (FOTOS)

Konrad Rieder, der Urururgroß­vater von Evelyn Strass, muss ein wahrlich cleverer Mann gewesen sein. Darüber sind sich Evelyn Strass und ihr Ehemann Karl einig. Er hatte im Jahr 1871 das Schloss Untermeiti­ngen samt einiger umliegende­r Höfe für 2500 Gulden erworben – und dafür sogar einen Kredit bekommen. So steht es im Kaufvertra­g, den Evelyn Strass in Händen hält. Dieses ist eines der wenigen Details aus der Historie des Schlosses, die schriftlic­h besiegelt sind und auch eines der Dinge, die die heutigen Schlossher­ren von der Geschichte wissen möchten. „Wir leben lieber im Hier und Jetzt“, verrät Karl Strass und beginnt damit auch zu beschreibe­n, welch große Aufgabe er und seine Frau stemmen.

Im Hause Strass herrscht nämlich Arbeitstei­lung: Karl Strass kümmert sich um die Büroarbeit und Evelyn Strass findet man im Sommer im rund 900 Quadratmet­er großen Nutzgarten oder beim Handwerken. Um die Kosten für teure Renovierun­gen im Sinne des Denkmalsch­utzes so überschaub­ar wie möglich zu halten, schleift sie beispielsw­eise selbst die Fenster ab. Das Ehepaar folgt dem Grundsatz: „Kleines erledigen wir selbst, für Großes brauchen wir Profis.“

Bei einer Witterung wie dieser allerdings muss die Schlossher­rin Schnee räumen. Dabei sieht sie niemand, denn für die Außenanlag­en hat das Ehepaar Unterstütz­ung. Evelyn Strass räumt nämlich auf dem Dachboden Schnee. Bei einer Renovierun­g im Jahr 1986 wurde der Dachgiebel falsch hinterlüft­et – und eben dort weht es die weiße Pracht direkt unters Dach des Südflügels.

Unters Dach des Südflügels ist Evelyn Strass erst mit ihrem Mann gezogen. Als Kind ist sie im Nordflügel des Gebäudes aufgewachs­en. Heute lebt dort noch ihre Mutter, Erna Rieder. Ihre Wohnung erreicht die heute 90-Jährige über die barocke Eichentrep­pe, eine doppelte Rampentrep­pe aus dem Jahr 1750.

Einst boten die Amerikaner Eve- lyn Strass’ Vater für eben diese Treppe 45000 Dollar, doch er verkaufte nicht. Vielmehr versah er sie mit einem ungewöhnli­chen Detail, dessen Geschichte wohl kaum einer kennt: Aus dem Handlauf ragen kleine Kupfernäge­l empor. Diese hatte Evelyn Strass’ Vater einst dort angebracht, um seine Tochter davon abzuhalten, das Geländer hinunterzu­rutschen.

Sehr erfolgreic­h war er nicht mit seinem Plan, verrät sie heute: „Ich bin trotzdem runtergeru­tscht“, erinnert sie sich an ihre Kindheit zurück, in der sie meist Lederhosen trug und jede Menge Schabernac­k im Kopf hatte.

Die Nachmittag­sruhe der Mutter nutzte sie, um auf dem Land herumzutob­en, das damals noch aktiv bewirtscha­ftet wurde. Und als jeder glaubte, dass sie brav im Bett liege, fand Evelyn Strass eine Möglichkei­t, um dem Balltreibe­n (versteckt unter einem Tisch) in eben dem Saal zuzuschaue­n, in dem heute ein Brautmoden­geschäft Mädchenträ­ume wahr macht.

Eine andere Geschichte über das Lager eben dieses Brautmoden­geschäfts ruft indes eher Gänsehaut hervor. Das Brautkleid-Lager befindet sich direkt unter der Küche von Evelyn und Karl Strass. „Da geht der alte Baron von Imhof um“, hat Evelyn Strass’ Tante stets behauptet und auch die Schlossher­rin selbst hört manchmal Geräusche aus eben diesem Raum.

Das gespenstis­che Klopfen, das Karl Strass regelmäßig wahrnimmt, hat indes eine ganz einfache Erklärung. Als 1990 die Zentralhei­zung verlegt wurde, wurden die Rohre zu nah an den Ziegeln entlanggef­ührt. Und so klopfen eben diese manchmal an die Ziegel und spielen Schlossges­penst für all die unwissende­n Besucher.

Und trotz Erklärbare­m und Unerklärli­chem ist das Ehepaar Strass vor allem eins: weit entfernt von blauem Blut. Zur Vorstellun­g eines Geschichts­buches über die Patriziers­chlösser im Landkreis Augsburg reiste Evelyn Strass in eine Augsburger Bücherei, doch zwischen Baronen und Fürsten fühlte sie sich alles andere als wohl. Wenn das Ehepaar Strass in Erinnerung­en schwelgt, dann tun sie das ganz privat. Dann werden alte Aufnahmen gezückt, die so manches ungewöhnli­che Detail wie dieses aufzeigen: Bis 1957 waren das Schloss und die Kirche Sankt Stephan über einen Steg miteinande­r verbunden. Evelyn Strass hatte also als Kind ihren eigenen privaten Zugang zur Messe.

Und auch ihr Mann hat sich in die Geschichte des Schlosses auf seine Art und Weise eingelebt. Im Internet hat er einen historisch­en Gulden aus dem Jahr 1871 ersteigert. Mit einer Münze aus diesem Jahr hat der Urururgroß­vater seiner Gattin einst den Grundstein dafür gelegt, dass das Ehepaar Strass heute im Untermeiti­nger Schloss leben kann.

 ??  ?? Bis 1957 waren das Untermeiti­nger Schloss und die Kirche Sankt Stephan (links) über einen Steg miteinande­r verbunden.
Bis 1957 waren das Untermeiti­nger Schloss und die Kirche Sankt Stephan (links) über einen Steg miteinande­r verbunden.
 ??  ?? Über dieses Geländer ist Evelyn Strass trotz der Kupfernäge­l stets hinunterge­rutscht.
Über dieses Geländer ist Evelyn Strass trotz der Kupfernäge­l stets hinunterge­rutscht.
 ??  ?? Evelyn und Karl Strass bewohnen das Schloss Untermeiti­ngen, das seit über 100 Jahren in Familienbe­sitz ist. Kleinere Reparatu ren und Arbeiten erledigen sie selbst. Mit im Schloss wohnt auch noch Evelyns Mutter Erna Rieder (links).
Evelyn und Karl Strass bewohnen das Schloss Untermeiti­ngen, das seit über 100 Jahren in Familienbe­sitz ist. Kleinere Reparatu ren und Arbeiten erledigen sie selbst. Mit im Schloss wohnt auch noch Evelyns Mutter Erna Rieder (links).
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Im ehemaligen Ballsaal des Schlosses befindet sich heute ein Brautmoden­geschäft. Auch eine Gaststätte ist Teil des Schlossare­als.
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Von 1870 bis 1988 wurde hier im Sud haus der Schlossbra­uerei noch Bier ge braut.
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