Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Frage der Woche Christbaum bis Lichtmess stehen lassen?
Ich weiß, es gibt Leute, die räumen für ihr Leben gerne um. Sie brauchen ständig den Kick des Neuen. Zu denen gehöre ich nicht. An Neues in der Wohnung muss ich mich erst gewöhnen. Das gilt auch für den Weihnachtsbaum.
Jahr für Jahr wird der Baum mit viel Liebe ausgesucht. Da es stets ein stattliches, bis an die Decke reichendes Exemplar sein soll, muss erst einmal Platz für den Neuankömmling geschaffen werden. Ein Tischchen und ein Sessel wandern dafür ins Nebenzimmer. Ist der Stamm nach langwierigen Vorarbeiten eingepasst in den Christbaumständer, wird der Baum stundenlang geschmückt. Und wenn er erstrahlt in all seinem Glanze, kommt stets die gleiche Feststellung: Es ist der schönste Baum, den wir je hatten!
Nach Weihnachten hat man sich richtig an ihn gewöhnt, es scheint, als sei die Wohnung nie anders eingerichtet gewesen. Jetzt Abschied nehmen? Unmöglich. Wie kann man nur? Der Baum hat Jahre gebraucht, um zu wachsen – man selbst hat gefühlte Ewigkeiten gebraucht, ihn zu schmücken. Und nur gefühlte Sekunden Zeit gehabt über die Feiertage, ihn richtig zu genießen. Ihn jetzt rauswerfen? Was für eine Verschwendung.
Niemandem käme es in den Sinn, Schnittblumen, die noch nicht verblüht sind, auf den Kompost zu werfen. Es würde zu Recht als Frevel angesehen! Mit dem Weihnachtsbaum ist das nicht anders. Solange er grün und saftig ist – und das ist er bei guter Pflege durchaus ein paar Wochen –, muss er bleiben. Erst, wenn die Nadeln unaufhörlich rieseln, sich die Spitzen der Zweige bedenklich nach unten biegen und die erste Kugel zu Boden plumpst, ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Das ist meist Anfang Februar der Fall. Da weiß man dann auch: Jetzt kann der Frühling kommen!
Liegt Ihr Christbaum schon am Straßenrand, spielen an ihm bereits die Vögel verstecken? Recht haben Sie, wenn Sie das grüne Weihnachtsmöbel bereits ins Freie getragen haben. Warum auch länger an der Deko festhalten? Weil’s so viel Spaß macht, täglich Tannennadeln wegzusaugen? Weil es so schön ist, dabei zuzusehen, wie langsam die Zweige dem Gewicht der Kugeln nachgeben und man dabei an die Schwerkraft erinnert wird, die auch an einem selber dauernd zieht? Oder weil man zu faul ist, die Kugeln eigenhändig in der Weihnachtskiste zu verstauen, und lieber wartet, bis sie von alleine abrutschen?
Hardcore-Baumaufsteller werden jetzt vielleicht sagen: Aber Lichtmess! Tradition! Die Weihnachtszeit geht doch offiziell bis Anfang Februar! Mag ja alles sein, aber gefühlt ist trotzdem mit dem neuen Jahr Schluss. Und wer an Heiligabend nicht einmal in die Kirche geht (und das tun viele nicht), der muss auch nicht dem Baum bis 2. Februar beim Vertrocknen zusehen. Übrigens: Wer es schafft, dass die Christtanne bis Lichtmess nicht nadelt, der möge mir bitte seinen Trick verraten. Meine ist ein Qualitätsprodukt aus einem großen deutschen Wald, eigenhändig vom Förster geschlagen, ohne Temperaturschock aufgestellt, gegossen und gepflegt – und trotzdem ging an Silvester das Nadeln los.
Der Hardcore-Schwabe wird noch argumentieren: ein 40Tage-Baum ist günstiger, als eine Zwei-Wochen-Tanne – es macht einen Unterschied, wenn man den Preis des Baumes durch 40 statt durch 14 teilt. Wer aber so rechnet, der sollte sich ohnehin lieber einen Alle-Jahre-wiederPlastikbaum kaufen. Damit gibt’s dann auch kein schlechtes Gewissen mehr, dass Jahr für Jahr an Weihnachten ein Baum stirbt – ob in 14 oder 40 Tagen.