Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Neues Siegel für Fleisch soll mehr Tierschutz bringen

Ernährung Landwirtsc­haftsminis­ter kündigt Zwei-Klassen-System an. Ändern Verbrauche­r Einkaufsve­rhalten ähnlich wie bei Käfigeiern?

- VON MICHAEL POHL

Langsam, aber stetig bremsen die Deutschen ihre Lust auf Fleisch, wie sowohl Umfragen als auch die nüchternen Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Neben steigendem Gesundheit­s-, Qualitäts- und Umweltbewu­sstsein spielt dabei auch immer mehr der Tierschutz eine Rolle. Nachdem die von Handel und Landwirtsc­haft gestartete freiwillig­e „Initiative Tierwohl“nach dem Ausstieg des Tierschutz­bundes Probleme hat, ihre Erwartunge­n zu erfüllen, will Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt nun ein neues Verbrauche­r-Siegel einführen.

Der CSU-Politiker will das Siegel auf der Grünen Woche vorstellen, die am Freitag in Berlin beginnt. Gemeinsam mit Erzeugern will Schmidt Standards für eine artgerecht­e Tierhaltun­g definieren, die deutlich über gesetzlich­en Vorgaben liegen sollen. „Es wird voraussich­tlich zwei Stufen geben, Standard und Premium“, sagte Schmidt der Frankfurte­r Allgemeine­n. Dafür würden jeweils Anforderun­gen an artgerecht­e Haltung definiert – etwa in Bezug auf Platz, Stroh oder Futter.

Produkte mit der neuen Kennzeichn­ung sollten ab 2018 „an jeder Ladentheke zu haben sein“, kündigte Schmidt an. Verbrauche­r sollen so entscheide­n können, ob sie für höhere Standards mehr Geld ausgeben wollen. Der CSU-Politiker kritisiert­e, dass die großen Lebensmitt­elketten ihren Wettbewerb zu sehr über den Preis austragen würden. „Lebensmitt­el sollen nicht billig sein, sondern preiswert“, sagte Schmidt. Allerdings soll das neue Siegel nur freiwillig sein, eine Kennzeichn­ungspflich­t lehnte Schmidt ab.

„Der Staat entscheide­t nicht über Gut und Böse“, betonte der Minister. Ihm gehe es darum, dass die Verbrauche­r einen Beitrag zu mehr Tierschutz leisten können. Kritiker sehen Schmidts Initiative deshalb skeptisch. In den vergangene­n fünf Jahren ist der Konsum von Fleischund Wurstwaren zwar leicht zurückgega­ngen – von insgesamt 63 auf 59 Kilogramm im Jahr 2015.

Doch entgegen diesem Trend steigt in Deutschlan­d die Fleischpro­duktion: Laut den letzten vorliegend­en Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts verarbeite­ten die deutschen Schlachthö­fe im Jahr 2015 mehr als 8,2 Millionen Tonnen Fleisch, so viel wie noch nie zuvor. Wurden im Jahr 2000 knapp vier Millionen Schweine in Deutschlan­d geschlacht­et, waren es im Jahr 2015 bereits 5,6 Millionen Tiere – ein Anstieg um rund vierzig Prozent. Hauptgrund für den Anstieg ist der Export, etwa nach China. Vor allem große Schlachtbe­triebe setzen auf das Auslandsge­schäft, beim Marktführe­r Tönnies liegt der Exportante­il bei über 50 Prozent.

Vor diesem Hintergrun­d gibt es Zweifel, ob freiwillig­e Handelssie­gel im Inland tatsächlic­h Veränderun­gen bei den Tierhaltun­gsbedingun­gen bewirken können. Der Vorsitzend­e der Länder-Agrarminis­ter, Niedersach­sens grüner Ressortche­f Christian Meyer, fordert deshalb zumindest eine verpflicht­ende statt nur eine freiwillig­e Lösung.

Vorbild könne die Pflichtken­nzeichnung bei Eiern sein, die seit 2005 als Öko-, Freiland-, Bodenoder Käfighaltu­ng ausgewiese­n werden. Seitdem ging der Absatz von Eiern aus Käfighaltu­ng um über 80 Prozent zurück. Nach Vorstellun­g des Grünen-Ministers solle es auch für Fleisch vier Stufen geben: Haltung nach gesetzlich­en Standards, mit 30 Prozent mehr Platz und zwei weitere Stufen sollten Fleisch von Tieren mit Außenausla­uf sowie Ökohaltung kennzeichn­en.

Trotz weniger Fleischver­zehr wird mehr geschlacht­et

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