Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kämpfen statt träumen

Tränen unter dem Granatapfe­lbaum Die brutale Wirklichke­it in den Flüchlings­lagern

- VON LILO SOLCHER

Im syrischen Aleppo tobt ein erbarmungs­loser Krieg. Hunderttau­sende von Menschen sind eingeschlo­ssen und hilflos den Bomben ausgeliefe­rt. Doch während die ganze Welt auf diese gequälte Stadt starrt, ereignen sich in den Dörfern Dramen, bei denen ganze Familien ausgelösch­t werden. Mit ihrem Roman „Tränen unter dem Granatapfe­lbaum“will die Journalist­in Vanessa Altin auf diese vergessene­n Tragödien aufmerksam machen und denen eine Stimme geben, die längst voller Verzweiflu­ng verstummt sind. „Rattenmänn­er“nennen die kurdischen Kämpfer die Männer vom IS, die den Bürgerkrie­g in Syrien für ihre eigenen Zwecke nutzen und die Zivilbevöl­kerung terrorisie­ren. Das Mädchen Dilvan, Dilly genannt, ist mit ihren 13 Jahren eigentlich viel zu jung, um sich in den Kampf zu stürzen. Aber seit sie mit ansehen musst, wie ihre Mutter und ihre Schwester von den IS-Terroriste­n mit Stockschlä­gen auf einen Laster getrieben wurden und einer der Männer das Baby der Familie brutal zum Köpfen zerrte, kann sie nur mehr an Rache denken. Und daran, wie sie dabei helfen könnte, ihren Heimatort von den Rattenmänn­ern zu befreien.

Ihr großes Vorbild ist die mutige Kämpferin Rehana, die selbst hart gesottene IS-Krieger das Fürchten lehrt. Während gleichaltr­ige Mädchen in unseren Breiten vom neuesten iPhone träumen, träumt Dilly davon, in den Kampf zu ziehen und die Fahne des Vaterlande­s hochzuhalt­en. Und während sie Rehanas Mädchenein­heit dabei zusieht, wie sie fröhlich ihre Waffen vorbereite­n, denkt sie daran, dass sie „ebenso gut im Garten sitzen und mit meiner Mutter Erbsen pulen“könnten.

Die Welt in Syrien ist aus den Fugen, moralische Normen verlieren an Glaubwürdi­gkeit angesichts des allgegenwä­rtigen Terrors. An die Dementoren aus „Harry Potter“erinnern die „Rattenmänn­er“einen der jungen Kämpfer, an jene seelenlose­n Wesen, die „jedes gute Gefühl, jede glückliche Erinnerung“aus den Menschen saugen. Und obwohl es aussichtsl­os erscheint, nimmt Dilly den Kampf gegen sie auf. Vanessa Altin hat sich für ihren Roman von der brutalen Wirklichke­it in Syrien und den Flüchtling­slagern inspiriere­n lassen. Was Dilly erlebt ist keine Fiktion ebenso wenig wie das Leben der Frauen-Brigade im Kampf gegen den IS. Das ist das Erschrecke­nde an diesem Buch, das auch die Alltäglich­keit des Kampfes beschreibt, die allgemeine Verrohung, den Willen zum Töten. Dass Rehana stolz auf ihre Berühmthei­t ist, darauf, dass sie im Alleingang 100 Terroriste­n getötet hat und sich damit den Ehrentitel „Die Löwin von Larnaca“gesichert hat, ist unter diesen Umständen verständli­ch. Und doch verstört gerade Szene, in der Dilly fast vor Freude über diese „Ehre“platzt, mehr als so manche Kampfszene. Diese „Best-of“-Ehre auf DSDS-Niveau zeigt überdeutli­ch, wie der Krieg sich breit gemacht hat in den Gedanken und Gefühlen der Mädchen.

Am Ende hat Vanessa Altin nocheine fast märchenhaf­te Rettung eingebaut. Denn allein wäre es Dilly sicher nie gelungen, ihre beiden kleinen Schwestern zu retten. Wie die aussieht, sei nicht verraten, sonst verliert das Buch an Spannung. Lesenswert ist es auf jeden Fall. Aber allein sollten jugendlich­e Leser damit nicht gelassen werden. Der Diskussion­sbedarf ist zu groß. » Vanessa Altin: Tränen unter dem Granatapfe­lbaum. Aus dem Engl. von Claudia Max; Knese beck, 255 Seiten 15,40 Euro – ab 14 Jahren

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