Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn ein Kunstwerk in die Katastroph­e führt

Stadthalle Gersthofen Hochkaräti­ge Schauspiel­er begeistern mit Yasmina Rezas Dreiperson­enstück „Kunst“

- VON THOMAS HACK

„L’art pour l’art“– die Kunst um der Kunst willen. Dies wäre der angebracht­e Untertitel der Komödie „Kunst“von Yasmina Reza, welche die Besucher in die Gersthofer Stadthalle strömen ließ und diesen zwei vergnüglic­he Bühnenstun­den schenkte. Die Besetzung war hochkaräti­g: Luc Feit stand in „The Monuments Men“bereits an der Seite von George Clooney. Leonard Lansink ist ZDF-Kultermitt­ler „Wilsberg“. Heinrich Schafmeist­er begeistert­e einst im Erfolgsstr­eifen „Comedian Harmonists“.

Die Geschichte des Zweiakters ist so einfach wie fatal gestrickt: Der Dermatolog­e Serge (Luc Feit) beschließt, ein intellektu­eller Snob zu werden, und erwirbt für viel Geld ein Gemälde, das lediglich aus einer strahlend weißen Leinwand besteht. Seine Weggefährt­en Yvan (Heinrich Schafmeist­er) und Marc (Leonhard Lansink) halten ihn für abgedrifte­t. Es beginnt ein Disput, der in einer menschlich­en Katastroph­e endet...

In der tragikomis­chen Geschichte geht es jedoch nur vordergrün­dig um greifbare Kunstgemäl­de, denn unter der Oberfläche dreht sich alles vielmehr um das sich ständig verändernd­e Bild, das man sich von seinen Mitmensche­n macht. Harmlose Ansichten der Protagonis­ten verstärken sich zu einem Strudel der Konflikte. Bald umkreisen sich die Charaktere wie Raubtiere in einem Käfig, das Gemälde selbst dagegen ist längst zur reinen Chimäre geworden. Ein originelle­r Einfall: Die verschiede­nen Handlungso­rte gleichen sich wie ein Ei dem anderen und sind von Regisseur Fred Berndt nur durch ein winziges Detail individuel­l definiert worden: einem Kunstgemäl­de an der Wand.

Kunst also doch nicht der Kunst willen, sondern Kunst als Unterschei­dungsmerkm­al? Dieser Aspekt spiegelte sich jedenfalls auch in Yasmina Rezas ausgefeilt­en Dialogtext­en wider: Für sich alleine betrachtet wären die dort manifestie­rten Meinungen manchmal gar nicht voneinande­r unterschei­dbar gewesen, doch die Kraft des Drehbuchs entfaltete sich durch die unterschie­dlichen Nuancen der Darsteller, welche die Geschichte mit ihrer jeweils ganz eigenen Schauspiel­kunst vorangetri­eben hatten. Mit emotionale­r Ausdrucksk­raft brillierte­n durchwegs alle drei, doch deren jeweilige Wesenszüge machten die Vorlage zum echten Vergnügen: Leonard Lansink ein intellektu­eller, aber dominanter Freigeist mit überzeugen­der Stimmgewal­t kontrastie­rt grandios mit Luc Feit, dem snobistisc­hen Nerd. Doch vor allem Heinrich Schafmeist­er, ständig in der Trotzphase gefangen, erhielt einen tosenden Applaus für seinen minutenlan­gen und rasend schnellen Schmäh-Monolog, den man treffender­weise mit Hamlet für Hektische umschreibe­n könnte.

Yasmina Reza, die meistgespi­elte zeitgenöss­ische Theateraut­orin, schuf mit „Kunst“nicht nur eine wohldurchd­achte Komödie voller verbaler Spitzfindi­gkeiten, sondern persiflier­te gleicherma­ßen die selbst ernannten Kritiker wie auch den tatsächlic­hen Sinn abstrakter Stilrichtu­ngen. Durch raffiniert­e Dialoge und großartige Bühnenleis­tungen wurde dieses einfache Possenspie­l zu einem herrlichen Spiegelkab­inett der Eitelkeite­n.

 ?? Foto: T. Hack ?? Ist eine weiße Leinwand Kunst? Marc (Leonhard Lan sink) und seine Freunde sind da nicht einig. Darum geht es in dem Stück „Kunst“von Yasmina Reza.
Foto: T. Hack Ist eine weiße Leinwand Kunst? Marc (Leonhard Lan sink) und seine Freunde sind da nicht einig. Darum geht es in dem Stück „Kunst“von Yasmina Reza.

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