Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn ein Kunstwerk in die Katastrophe führt
Stadthalle Gersthofen Hochkarätige Schauspieler begeistern mit Yasmina Rezas Dreipersonenstück „Kunst“
„L’art pour l’art“– die Kunst um der Kunst willen. Dies wäre der angebrachte Untertitel der Komödie „Kunst“von Yasmina Reza, welche die Besucher in die Gersthofer Stadthalle strömen ließ und diesen zwei vergnügliche Bühnenstunden schenkte. Die Besetzung war hochkarätig: Luc Feit stand in „The Monuments Men“bereits an der Seite von George Clooney. Leonard Lansink ist ZDF-Kultermittler „Wilsberg“. Heinrich Schafmeister begeisterte einst im Erfolgsstreifen „Comedian Harmonists“.
Die Geschichte des Zweiakters ist so einfach wie fatal gestrickt: Der Dermatologe Serge (Luc Feit) beschließt, ein intellektueller Snob zu werden, und erwirbt für viel Geld ein Gemälde, das lediglich aus einer strahlend weißen Leinwand besteht. Seine Weggefährten Yvan (Heinrich Schafmeister) und Marc (Leonhard Lansink) halten ihn für abgedriftet. Es beginnt ein Disput, der in einer menschlichen Katastrophe endet...
In der tragikomischen Geschichte geht es jedoch nur vordergründig um greifbare Kunstgemälde, denn unter der Oberfläche dreht sich alles vielmehr um das sich ständig verändernde Bild, das man sich von seinen Mitmenschen macht. Harmlose Ansichten der Protagonisten verstärken sich zu einem Strudel der Konflikte. Bald umkreisen sich die Charaktere wie Raubtiere in einem Käfig, das Gemälde selbst dagegen ist längst zur reinen Chimäre geworden. Ein origineller Einfall: Die verschiedenen Handlungsorte gleichen sich wie ein Ei dem anderen und sind von Regisseur Fred Berndt nur durch ein winziges Detail individuell definiert worden: einem Kunstgemälde an der Wand.
Kunst also doch nicht der Kunst willen, sondern Kunst als Unterscheidungsmerkmal? Dieser Aspekt spiegelte sich jedenfalls auch in Yasmina Rezas ausgefeilten Dialogtexten wider: Für sich alleine betrachtet wären die dort manifestierten Meinungen manchmal gar nicht voneinander unterscheidbar gewesen, doch die Kraft des Drehbuchs entfaltete sich durch die unterschiedlichen Nuancen der Darsteller, welche die Geschichte mit ihrer jeweils ganz eigenen Schauspielkunst vorangetrieben hatten. Mit emotionaler Ausdruckskraft brillierten durchwegs alle drei, doch deren jeweilige Wesenszüge machten die Vorlage zum echten Vergnügen: Leonard Lansink ein intellektueller, aber dominanter Freigeist mit überzeugender Stimmgewalt kontrastiert grandios mit Luc Feit, dem snobistischen Nerd. Doch vor allem Heinrich Schafmeister, ständig in der Trotzphase gefangen, erhielt einen tosenden Applaus für seinen minutenlangen und rasend schnellen Schmäh-Monolog, den man treffenderweise mit Hamlet für Hektische umschreiben könnte.
Yasmina Reza, die meistgespielte zeitgenössische Theaterautorin, schuf mit „Kunst“nicht nur eine wohldurchdachte Komödie voller verbaler Spitzfindigkeiten, sondern persiflierte gleichermaßen die selbst ernannten Kritiker wie auch den tatsächlichen Sinn abstrakter Stilrichtungen. Durch raffinierte Dialoge und großartige Bühnenleistungen wurde dieses einfache Possenspiel zu einem herrlichen Spiegelkabinett der Eitelkeiten.