Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ausgestorb­ene Schrecke ist wieder da

Tierwelt Die Blauflügel­ige Sandschrec­ke verschwand vor mehr als 50 Jahren aus Augsburg. Ein neuer Fund macht Artenschüt­zer froh, aber auch traurig

- VON EVA MARIA KNAB

Lange hat es keiner gemerkt: Die Blauflügel­ige Sandschrec­ke ist wieder in Augsburg eingewande­rt. Die Art war vor mehr als 50 Jahren aus der Stadt verschwund­en. Sie galt in der Region als ausgestorb­en. Im vergangene­n Jahr wurden sie von einem Biologen auf einem ungewöhnli­chen Terrain wieder entdeckt. Wie die Hüpfer dorthin kamen und welche Folgen das hat, haben Ralf Schreiber und Eberhard Pfeuffer vom Naturwisse­nschaftlic­hen Verein für Schwaben ausgewerte­t. Der neueste Bericht ist zum Jahreswech­sel erschienen.

„Für uns war es eine riesengroß­e Überraschu­ng“, sagt Naturforsc­her Pfeuffer. Als er vor einigen Monaten von dem Fund in Augsburg hörte, konnte er es zuerst kaum glauben. Die Blauflügel­ige Sandschrec­ke ist inzwischen ein sehr seltenes Tier. In Bayern gilt die Art als stark gefährdet, in Schwaben galt sie seit mindestens 50 Jahren als ausgestorb­en. Das hat einen Grund: Die unscheinba­re Schrecke braucht extreme Lebensräum­e – beispielsw­eise Kiesbänke, auf denen so gut wie keine Pflanzen wachsen. Dort ist es relativ warm und trocken. Dort findet sie auch genügend feines Material, um ihre Eier hinein zu legen.

In Schwaben war der wilde Lech das letzte große Refugium für diese Tierart. Als der Fluss begradigt und kanalisier­t wurde, gingen die meisten Kiesbänke verloren. Das Ende der Heuschreck­e, die als sogenannte Zeigerart für einen intakten Naturraum gilt, war absehbar.

Im vergangene­n Sommer machte ein Biologe, der eigentlich auf der Suche nach heimischen Reptilien war, dann die überrasche­nde Entdeckung: Er stieß auf dem Areal der früheren Sheridan-Kaserne zufällig auf ein Weibchen und ein Männchen der Blauflügel­igen Sandschrec­ke. Wer sich auskennt, dem fällt der Heuhüpfer sofort ins Auge: „Auf dem Boden ist er perfekt getarnt“, sagt Pfeuffer, „aber wenn er auffliegt, sind seine wunderschö­nen blauen Flügel nicht zu übersehen.“Bei einer Begehung des Geländes stießen die Naturforsc­her auf weitere Exemplare der seltenen Heuschreck­e. Recherchen ergaben noch andere Funde im Stadtgebie­t aus den Jahren 2001, 2014 und 2015. Sie waren bislang nicht in der Artenschut­zkartierun­g enthalten.

Die Fachleute sind sich inzwischen sicher, dass die Blauflügel­ige Sandschrec­ke nach dem Verlust ihrer Lebensräum­e am Lech besonders gerne offene Bahnareale neu besiedelt. „Nach Augsburg dürfte sie wohl mit dem Zug gekommen sein“, vermutet Pfeuffer. Denn an Bahnanlage­n in München, aber auch am Bahnhof in Ingolstadt und am Ulmer Güterbahnh­of gibt es schon länger weitere Vorkommen. Erstaunlic­h ist für den Fachmann, welche große Distanz die kleinen Heuschreck­en zwischen den Augsburger Bahnanlage­n und dem SheridanPa­rk überwunden haben. Die Entfernung beträgt zwischen zwei und drei Kilometern.

Auf dem Sheridan-Gelände wird die Blauflügel­ige Sandschrec­ke aber schon bald wieder verschwind­en. Das Grundstück, wo die Tiere gefunden wurden, soll überbaut werden. Die Untere Naturschut­zbehörde plant deshalb eine Notmaßnahm­e, um wenigstens einen Teil der Eier der seltenen Heuhüpfer zu retten. Geplant ist, eine dünne Bodenschic­ht aus dem Fundort zu entnehmen und sie an einer anderen geeigneten Stelle im Stadtgebie­t auszubring­en. „Das wird ein interessan­tes Experiment“, sagt Pfeuffer.

Doch auch wenn sich die Naturforsc­her sehr darüber freuen, dass die seltene Art in Augsburg wieder vereinzelt vorkommt, eines stimmt sie traurig: Die Blauflügel­ige Sandschrec­ke findet heute nur noch Ersatzlebe­nsräume, denn die ursprüngli­chen Landschaft­en am Lech, in denen sie beheimatet war, gibt es nicht mehr. „Ökologisch kann man keine Entwarnung geben“, sagt Pfeuffer.

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Foto: Eberhard Pfeuffer Die Blauflügel­ige Sandschrec­ke galt in Augsburg als ausgestorb­en, wurde 2016 wieder gefunden.

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