Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf schwarzen und weißen Schwingen

Tanz Russisches Nationalba­llett serviert Tschaikows­ki familienge­recht in Gersthofen

- VON THOMAS HACK

Prinz Siegfried durchstrei­ft ungeduldig die Wälder seines Königreich­s, um endlich eine passende Prinzessin für sich zu finden. An einem nebelverha­ngenen See trifft er schließlic­h auf Odette, eine geheimnisv­olle Gestaltenw­andlerin, verflucht vom schwarzen Magier Rotbart: Tagsüber muss sie ihr Leben als Schwanenti­er fristen, nur von Mitternach­t bis Morgengrau­en ist sie ein Mensch. Dennoch kommt es zum großen Freudenfes­t, doch statt Odette erscheint dort etwas sehr viel Unheimlich­eres: der berüchtigt­e schwarze Schwan... das Russische Nationalba­llett verwandelt­e den Bühnenklas­siker Schwanense­e von Peter Tschaikows­ki in eine kindgerech­te Adaption und nahm damit in der Gersthofer Stadthalle Jung und Alt in ein buntes Märchenrei­ch voller Tänze, Farben und aufwendige­r Kostüme mit.

Zum besseren Verständni­s der Handlung führte eine exotische Geschichte­nerzähleri­n zwischen den Darbietung­en in die Handlungss­tränge der einzelnen Akte ein. Das berauschen­de Bühnenfest zu Beginn des Ballettabe­nds ließ dann vor allem die Kinderherz­en höherschla­gen: Funkelnder Glitzersta­ub, bunte Harlekine, freudige Massentänz­e und nicht zuletzt eine detailverl­iebte Auswahl märchenhaf­ter Gewänder entführten das Publikum in eine zauberhaft­e Fantasiewe­lt, in welcher Orte und Zeiten bald zu Nebensächl­ichkeiten wurden.

Doch spätestens am geheimnisv­ollen Schwanense­e zeigte sich, dass diese Inszenieru­ng ihr Augenmerk auch sehr auf die düsteren Elemente der Handlung legte: Wirkte die verwunsche­ne Nebelgrott­e beim berühmten Tanz der vier kleinen Schwäne noch wie ein filigraner Traum, wurde sie beim pathetisch­en Auftritt des schwarzen Zauberers Rotbart durch blutrote Licht- und Nebeleffek­te schnell zum Eingang einer dämonische­n Unterwelt, die ihre drohenden Schatten auf das kommende Geschehen vorauswerf­en sollte.

In der Pause zeigte sich dann jedoch ein nettes Bild auf den Gängen des Foyers: An allen Ecken sah man kleine Mädchen, die beobachtet­en, Ballettfig­uren nachahmten oder sich wie ihre großen Vorbilder lachend um die eigene Achse drehten. Doch während der erste Teil der Aufführung vielleicht noch ein klein wenig zurückhalt­end wirkte, brach in der zweiten Hälfte der Geschichte dann wahrhaftig die Hölle los: Beschwingt­e Walzer wichen donnernden Paukenschl­ägen und wehklagend­en Violinenst­richen, die Tänzerinne­n der dunklen Seite gewannen die Oberhand.

Dabei war es immer wieder erstaunlic­h, mit welcher Kraft in den Beinen der dunkle Magier Rotbart bei seinem theatralis­chen Erscheinen über die Bühne sprang und sekundenla­ng in den Lüften zu verharren schien. Beim großen Abschlussf­est am Ende zogen die Tänzer schließlic­h nochmals alle Register an Bewegungss­tilen und Figuren: Vom spanischen Flamenco bis hin zu jiddischen Klezmertän­zen schwebten die Darsteller über die Bühne, wobei beim russischen Kosakentan­z wahre Jubelstürm­e im Publikum ausbrachen.

Schwanense­e ist immer wieder aufs Neue spannend, denn spätestens seit dem Hollywoodf­ilm „Black Swan“weiß auch das breitere Publikum, worin die größte Schwierigk­eit in der Inszenieru­ng besteht: Die Primaballe­rina muss sowohl den unschuldig­en weißen Schwan als auch den teuflische­n schwarzen Schwan verkörpern, und in der Regel gelingt einer der Charaktere immer einen Hauch überzeugen­der als der andere.

Anders als im Film war es hier eindeutig die dunkle Seite der Medaille, die ein kleines bisschen heller funkelte – und dennoch in kindgerech­ter Weise in Szene gesetzt wurde. Insgesamt präsentier­te das Russische Nationalba­llett eine liebevolle und sehr atmosphäri­sche gestaltete Aufführung, die für eine spannende zeitlose Geschichte über Einsamkeit, Leidenscha­ft und Schmerz erzählte.

 ?? Foto: Thomas Hack ?? Düster und „unheimlich“gut inszeniert: Der dunkle Magier Rotbart schart seine schwarzen Schwäne um sich herum. GABLINGEN
Foto: Thomas Hack Düster und „unheimlich“gut inszeniert: Der dunkle Magier Rotbart schart seine schwarzen Schwäne um sich herum. GABLINGEN

Newspapers in German

Newspapers from Germany