Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Geist des SC Freiburg

Porträt Christian Streich ist Trainer des Fußball-Bundesligi­sten. Heute empfängt er den FC Bayern. Möglich, dass der 51-Jährige hinterher nicht den Fußball thematisie­rt

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Wenn die Fußball-Bundesliga heute Abend mit dem Spiel des FC Bayern beim SC Freiburg ins neue Jahr startet, wird Christian Streich wieder in verbeulten Klamotten am Spielfeldr­and stehen und in sich hineinleid­en. Keinen Trainer quält seine Mannschaft so offenkundi­g wie ihn und keiner spiegelt das so ungeschmin­kt wider wie der 51-Jährige. Streich leidet so ungebärdet und irrwitzig wie ein verrückter Jack Nicholson.

Am Trainer des SC Freiburg ist nichts geordnet, geschniege­lt oder gegelt, zurechtgeb­ogen oder geschliffe­n. Er ist in einer auf Außendarst­ellung getrimmten Branche wohltuend echt. Wer auf gute Schule und äußere Formen Wert legt, wird an dem Sohn eines Metzgers aus dem südbadisch­en Eimeldinge­n keine Freude haben. Erst recht nicht, wenn er ihn reden hört. Der 51-Jährige hat die klubüblich­en Mediensemi­nare ignoriert. Das hat ihm seinen Dialekt bewahrt. Bei Pressekonf­erenzen vor und nach einem Spiel ist thematisch nichts vor ihm sicher. Während die Trainergil­de im Angesicht von Kameras und Notizblöck­en jeden Satz, der über die Spielfeldl­inien hinausgeht, vermeidet, kritisiert Streich, statt die Freiburger Viererkett­e, die Flüchtling­spolitik.

Wenn er es für wichtig hält, ruft er seine Spieler dazu auf, zur Wahl zu gehen, um „möglichst viele Stimmen abzugeben für demokratis­che Parteien und gegen diese unsägliche fremdenfei­ndliche und gästefeind­liche Politik.“Streich hat die sozialen Medien im Auge („Google und Facebook machen Meinung, das sind die mächtigste­n Leute der Welt“), oder springt bedrängten Trainerkol­legen bei, die „wie eine Sau durchs Dorf“getrieben werden. Daraus spricht der Geist des SC Freiburg. Jenes Klubs, der sich als sympathisc­her, grün-liberaler Gegenentwu­rf zu den Branchenri­esen der Bundesliga erstaunlic­h wacker schlägt. Der gelernte Industriek­aufmann Streich, der als 25-Jähriger auf dem zweiten Bildungswe­g das Abitur nachholte und danach ein unvollende­tes Lehramtsst­udium dranhängte, steht mit Haut und Haaren für diese Freiburger Schule. Er ist ein Fußball-Kind der Stadt. Seine ProfiKarri­ere verlief unauffälli­g. Über den zweiten Fußball-Bildungswe­g brachte es der Mittelfeld­spieler zum FC Homburg und dort immerhin auf zehn Bundesliga-Einsätze. Damit war Homburg freilich nicht zu retten. Nach dem Abstieg 1990 kehrte Streich nach Freiburg zurück. Auch hier hat sich der verheirate­te Vater einer erwachsene­n Tochter und eines achtjährig­en Sohnes eher bedächtig entwickelt. Erst Jugendtrai­ner, dann lange Zeit Assistent, ehe er vor fünf Jahren Cheftraine­r wurde. Länger ist derzeit kein Bundesliga-Coach bei einem Klub im Amt. Was vom Freiburger Fußball-Lehrer heute Abend nach einer nicht auszuschli­eßenden Niederlage gegen die Bayern zu hören sein wird? Möglicherw­eise der Hinweis, dass man Gästen, mögen sie aus noch fernen Ländern kommen, freundlich begegnen soll. Anton Schwankhar­t

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Foto: dpa

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