Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Politiker wollen die NPD trockenlegen
Analyse Karlsruhe hat die verfassungsfeindliche Partei nicht verboten. Doch das Gericht hat angedeutet, dass man ihr den Geldhahn zudrehen könnte. Der Vorschlag ist umstritten
Martin Morlok ist eigentlich kein Prophet, sondern Deutschlands bekanntester Professor für Parteienrecht. Oder doch beides? Da ist dieser Satz, den der 67-Jährige am Samstag, den 14. Januar – also drei Tage vor der Urteilsverkündung im NPD-Verbotsprozess – im Gespräch mit unserer Zeitung sagte: „Es ist vorstellbar, dass das Verfassungsgericht am Dienstag sagt, die NPD hat ein verfassungswidriges Programm, aber um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, wird sie nicht verboten, sondern die Richter regen an, dass der Gesetzgeber Maßnahmen unterhalb eines Verbotes schaffen sollte.“
Exakt so kam es. Es ist der zweite Teil dieser Vorhersage, der vielen Politikern, die auf ein Verbot der rechtsextremen Partei gesetzt hatten, über den Schmerz der Niederlage in Karlsruhe hinweggeholfen haben mag. Denn tatsächlich servierte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, eine solche „Maßnahme unterhalb eines Verbotes“: den Entzug der Parteienfinanzierung.
Ein konkreter Hinweis, der wie ein Ventil wirkte. Fast schon begierig griffen führende Politiker diesen Fingerzeig auf. So sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD): „Steuermittel für die NPD sind eine staatliche Direktinvestition in rechtsradikale Hetze.“Genauso deutlich wurde der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der es als „unerträglichen Zustand“bezeichnete, dass „rechtsstaatswidrige, ausländerfeindliche Propaganda auch noch aus Steuermitteln finanziert“werde. Fast geschlossen fordern Union, SPD und Grüne, dass eben dieser Zustand endlich ein Ende haben muss. Nach dem Motto: Dreht der NPD den Geldhahn zu.
Wie ist die aktuelle rechtliche Lage? Das Grundgesetz regelt die Sache eindeutig: Der Gesetzgeber muss alle Parteien, die erlaubt sind, gleich behandeln. Die Gesinnung derselben darf also keine Rolle spielen. Das schließt die Streichung von staatlichen Finanzmitteln generell aus. Nur eine Verfassungsänderung könnte dieses Prinzip aufbrechen. Die wiederum kann nur eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages beschließen. Das allerdings sollte – schaut man auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag – machbar sein. Nur die Fraktion der Linken lehnt diesen Weg ab.
Parteien bekommen staatliche Unterstützung, wenn sie bei der jeweils jüngsten Bundestags- oder Europawahl mindestens 0,5 Prozent oder bei einer Landtagswahl 1,0 Prozent der Stimmen erhalten haben. Für jede ihrer ersten vier Millionen Stimmen gibt es einen Euro, für jedes weitere Votum werden 83 Cent fällig. Die NPD erreichte bei der letzten Bundestagswahl 2013 1,3 Prozent der Simmen, ein Jahr später bei der Europawahl waren es nur noch 1,0 Prozent. Ohne Zweifel würde es die ohnehin schon in einer Dauerkrise befindliche NPD mit ihren nur noch knapp 6000 Mitgliedern hart treffen, wenn kein Staatsgeld mehr in ihre Kassen fließt. Die Partei, der die Karlsruher Richter eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus attestieren, bekam 2015 Zuwendungen von 1,3 Millionen. Das ist mehr als die Hälfte ihrer gesamten Einnahmen.
Kurz: Die Streichung der Finanzierung wäre ein äußerst wirkungsvoller Hebel, um verfassungsfeindlichen Parteien wie der NPD die Lebensgeister auszuhauchen.
Doch Jurist Morlok ist nicht überzeugt. Er zweifelt an der Verhältnismäßigkeit: „Ich frage mich, ob man das wirklich braucht. Das ist jetzt schon ein bisschen Symbolpolitik.“Schließlich sehe es so aus, als ob die NPD ganz ohne fremdes Zutun verkümmere. Dennoch geht Morlok, der von 1991 bis 1993 Professor in Augsburg war, davon aus, dass die Politik eine Verfassungsänderung in Angriff nehmen wird. „Die Politiker wollen signalisieren, dass etwas getan wird. Dahinter mag bei manch einem auch die Motivation stecken, der AfD einen Schuss vor den Bug zu verpassen.“Sollte es so kommen, sieht er nur eine Option: Das Bundesverfassungsgericht müsse weiterhin die Instanz sein, die über die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei befindet. Schnellschüsse wären damit von vorneherein ausgeschlossen.
Noch deutlicher wird der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim. Er fürchtet, dass der NPD mit dem Entzug staatlicher Finanzierung „mit viel Aufwand eine Opferrolle zugespielt werde“. Eine Sorge, die auch den innenpolitischen Sprecher der Union im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), vorsichtig von der Linie seiner Partei abrücken lässt. „Ich bin eher zurückhaltend, auch weil wir nicht den Eindruck erwecken sollten, die NPD rechtlich ausschalten zu wollen, nur weil das Bundesverfassungsgericht kein Verbot ausgesprochen hat. Wir würden der Partei einen Märtyrerstatus verschaffen und sie unnötig aufwerten“, sagte Mayer, auch er Jurist, unserer Zeitung.
Martin Morlok pocht darauf, dass eine starke Demokratie in der Lage sein müsse, solche Probleme politisch zu lösen: „Natürlich gibt es Verbohrte, die man nicht erreicht. Sonst aber gilt: Wenn man Probleme löst, schwächt man auch radikale Parteien.“