Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Fall Pouya

Abschiebun­g Ein 33-jähriger Afghane hat sich vorbildlic­h in Augsburg integriert. Dennoch muss er heute Abend das Land verlassen. Wie er seine Situation einschätzt und wie es weitergeht

- VON INA KRESSE

Ahmad Shakib Pouya ist wohl das, was man einen VorzeigeFl­üchtling nennt. Der 33-jährige Afghane hat in seinen sechs Jahren in Augsburg Deutsch gelernt, sich in Flüchtling­sprojekten engagiert und als Musiker in der Kulturszen­e mitgewirkt. Er hat viele Freunde hier gewonnen. Mitte Dezember begann um ihn ein Abschiebed­rama. Wohl ohne Happy End. Pouya wird heute zurück nach Afghanista­n müssen. Der Flieger geht um 18.30 Uhr.

Dabei hat er große Angst vor der Rückkehr in seine Heimat. Pouya fürchtet dort um sein Leben. „Ich weiß nicht, was mit mir passieren wird“, sagt er am Telefon. Pouya half in Afghanista­n als Krankenpfl­eger für eine französisc­he Hilfsorgan­isation in einem Krankenhau­s. Er macht sich Feinde, weil er als Muslim für Christen arbeitet, und wird bedroht. Sein Vater stirbt, als eine Handgranat­e in seine Wohnung geworfen wird. Pouya flieht. 2011 erreicht er Deutschlan­d. Sein Asylantrag wird ein Jahr später abgelehnt. Der 33-Jährige erhält eine Duldung. Diese wird ihm im Oktober 2016 entzogen. Der Afghane wird aufgeforde­rt, auszureise­n.

Als sein Fall bei der Härtefallk­ommission eingereich­t wird, ist es dafür zu spät. „Die Kommission muss sich vor der Erteilung einer Ausreisepf­licht mit den Fällen beschäftig­en, danach aber nicht mehr“, erklärt ein Sprecher des Innenminis­teriums gegenüber unserer Zeitung. Eine Bearbeitun­g des Falles wäre reine Kulanz gewesen.

Mitte Dezember spitzt sich die Situation zu. Während der Afghane auf dem Weg von seiner Lebensgefä­hrtin in Frankfurt zurück nach Augsburg ist, steht die Polizei vor seiner Tür. Die Beamten wollen ihn abholen. Ohne es zu wissen, entgeht er der Abschiebun­g. Pouya erfährt davon erst später. Er hätte am 14. Dezember im ersten Flugzeug sitzen sollen, das abgelehnte Asylbewerb­er zurück nach Afghanista­n brachte. Das wäre für Pouya das Schlimmste gewesen. Einmal abgeschobe­n hätte er nie wieder nach Deutschlan­d zurückkehr­en dürfen. Deshalb fühlt er sich nun gezwungen, auszureise­n.

Seine vielen Unterstütz­er sind enttäuscht bis fassungslo­s. Vergeblich haben sie um seinen Verbleib gekämpft. Nicola Steller vom Verein „Zuflucht Kultur“etwa kann es nicht nachvollzi­ehen, dass es bislang „null Regung“aus dem Innenminis­terium gibt. Dabei haben sich auch etliche bayerische Politiker dafür eingesetzt, dass das Gremium den Fall behandelt. Augsburgs Oberbürger­meister Kurt Gribl etwa schrieb einen Brief an die Kommission, in dem er die Tätigkeite­n und das Engagement des Afghanen auflistete. Die SPD-Stadtratsf­raktion machte sich für ein Bleiberech­t stark. Die Grünen-Abgeordnet­en Claudia Roth und Christine Kamm unterstütz­ten Pouya. Ex-Kultusmini­ster Thomas Goppel (CSU) schaffte es mit seiner Interventi­on beim bayerische­n Innenminis­ter Joachim Herrmann und bei Regierungs­präsident Karl Michael Scheufele sogar, dass Pouya einen Aufschub der Ausreisepf­licht erhielt. Denn Pouya spielte bis zum 14. Januar als Darsteller bei der Aufführung der Flüchtling­soper Zaide mit. Das wurde ihm noch gewährt. Dann war Schluss.

Auch eine Online-Petition mit rund 24 000 Unterzeich­nern, das Intervenie­ren der Deutschen Orchesterv­ereinigung, ein Brandbrief von Musikerkol­legen an die Kirche halfen nichts. Pouya glaubt, dass sein Fall die Politik nun so nervt, dass man ihn erst recht loshaben wolle. Er ist enttäuscht, dass sein Engagement nicht gezählt hat. „Wenn ich nicht in Deutschlan­d bleiben darf, bedeutet das letztendli­ch für alle anderen afghanisch­en Flüchtling­e auch, dass sie keine Chance haben. Viele von ihnen haben durch meinen Fall die Hoffnung verloren.“

Pouya hat in den sechs Jahren in Augsburg Spuren hinterlass­en. Er half unter anderem beim Aufbau des preisgekrö­nten Flüchtling­sprojekts „Grandhotel Cosmopolis“mit und betreute ehrenamtli­ch minderjähr­ige Flüchtling­e. Als Mitglied eines interkultu­rellen Theaterpro­jekts war er 2015 bei Bundespräs­ident Joachim Gauck auf Schloss Bellevue. In Schulklass­en erzählte er von seiner Flucht. Als Gast sprach er in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz. Jetzt muss er in das Land zurück, das für ihn Angst um sein Leben bedeutet. Längst wird über seinen Fall auch in afghanisch­en Medien berichtet. „Die Taliban kennen meinen Namen und mein Gesicht. Wie soll ich da leben?“Er hat auch Angst um Albert Ginthör.

Der Veranstalt­er der Oper Zaide in München und Mitglied des Orchesters des Gärtnerpla­tztheaters begleitet Pouya für eine Woche nach Kabul. „Wenn ich mit ihm da bin, können wir vielleicht den Schutz des Goethe-Instituts oder der deutschen Botschaft in Anspruch nehmen“, hofft Ginthör. Für ihn sei die Vorstellun­g unerträgli­ch gewesen, nach Abschluss der Opernauffü­hrung zu Pouya einfach zu sagen: „Guten Flug“. „Er ist so ein besonderer Mensch.“Ginthör gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich das Blatt noch kurz vor dem Abflug zum Guten wenden könnte. Pouya selbst, den das Hin und Her psychisch stark mitgenomme­n hat, glaubt nicht mehr daran. Er schaut nach vorne. In Kabul will er sich sofort um ein Visum kümmern, um wieder in ein für ihn sicheres Land ausreisen zu können. „Deutschlan­d wird erst einmal nicht möglich sein. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, hierher wieder zurückkehr­en zu können.“Auf die Frage, ob er verbittert sei, sagt er: „Ich bin sauer, dass ein Mensch in Deutschlan­d nichts wert ist. Ob ich sterbe oder nicht, ist der Politik egal.“Den Politikern, die sich für ihn eingesetzt haben, sei er natürlich dankbar. „Ich habe viele nette Menschen kennengele­rnt. Diese Erinnerung bleibt. Es ist schön, dass ich so viele Herzen gewonnen habe.“

Viele Politiker versuchten zu helfen Die Taliban kennen seinen Namen und sein Gesicht

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Der Afghane Pouya spielte zuletzt in München als Darsteller in der Flüchtling­soper Zaide mit.
Foto: Annette Zoepf Der Afghane Pouya spielte zuletzt in München als Darsteller in der Flüchtling­soper Zaide mit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany