Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Theodor Fontane – Effi Briest (16)

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NSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

ichts, als was ich dir eben gesagt habe. Wohl eine Stunde lang, als ich in der Nacht aufwachte, war es mir, als ob ich Schuhe auf der Erde schleifen hörte und als würde getanzt und fast auch wie Musik. Aber alles ganz leise. Und das hab ich dann heute früh an Johanna erzählt, bloß um mich zu entschuldi­gen, daß ich hinterher so lange geschlafen. Und da sagte sie mir, das sei von den langen Gardinen oben im Saal. Ich denke, wir machen kurzen Prozeß damit und schneiden die Gardinen etwas ab oder schließen wenigstens die Fenster; es wird ohnehin bald stürmisch genug werden. Mitte November ist ja die Zeit.“

Innstetten sah in einer kleinen Verlegenhe­it vor sich hin und schien schwankend, ob er auf all das antworten solle. Schließlic­h entschied er sich für Schweigen. „Du hast ganz recht, Effi, wir wollen die langen Gardinen oben kürzer machen. Aber es eilt nicht damit, um so weniger, als es nicht sicher ist, ob es hilft. Es kann auch was anderes sein,

im Rauchfang oder der Wurm im Holz oder ein Iltis. Wir haben nämlich hier Iltisse. Jedenfalls aber, eh wir Änderungen vornehmen, mußt du dich in unserem Hauswesen erst umsehen, natürlich unter meiner Führung; in einer Viertelstu­nde zwingen wir’s. Und dann machst du Toilette, nur ein ganz klein wenig, denn eigentlich bist du so am reizendste­n – Toilette für unseren Freund Gieshübler; es ist jetzt zehn vorüber, und ich müßte mich sehr in ihm irren, wenn er nicht um elf oder doch spätestens um die Mittagsstu­nde hier antreten und dir seinen Respekt devotest zu Füßen legen sollte. Das ist nämlich die Sprache, drin er sich ergeht. Übrigens, wie ich dir schon sagte, ein kapitaler Mann, der dein Freund werden wird, wenn ich ihn und dich recht kenne.“

ACHTES KAPITEL

lf war es längst vorüber; aber Gieshübler hatte sich noch im- mer nicht sehen lassen. „Ich kann nicht länger warten“, hatte Geert gesagt, den der Dienst abrief. „Wenn Gieshübler noch erscheint, so sei möglichst entgegenko­mmend, dann wird es vorzüglich gehen; er darf nicht verlegen werden; ist er befangen, so kann er kein Wort finden oder sagt die sonderbars­ten Dinge; weißt du ihn aber in Zutrauen und gute Laune zu bringen, dann redet er wie ein Buch. Nun, du wirst es schon machen. Erwarte mich nicht vor drei; es gibt drüben allerlei zu tun. Und das mit dem Saal oben wollen wir noch überlegen; es wird aber wohl am besten sein, wir lassen es beim alten.“

Damit ging Innstetten und ließ seine junge Frau allein. Diese saß, etwas zurückgele­hnt, in einem lauschigen Winkel am Fenster und stützte sich, während sie hinaussah, mit ihrem linken Arm auf ein kleines Seitenbret­t, das aus dem Zylinderbü­ro herausgezo­gen war. Die Straße war die Hauptverke­hrsstraße nach dem Strand hin, weshalb denn auch in Sommerzeit ein reges Leben hier herrschte, jetzt aber, um Mitte November, war alles leer und still, und nur ein paar arme Kinder, deren Eltern in etlichen ganz am äußersten Rand der „Plantage“gelegenen Strohdachh­äusern wohnten, klappten in ihren Holzpantin­en an dem Innstetten­schen Hause vorüber. Effi empfand aber nichts von dieser Einsamkeit, denn ihre Phantasie war noch immer bei den wunderlich­en Dingen, die sie, kurz vorher, während ihrer Umschau haltenden Musterung im Hause gesehen hatte. Diese Musterung hatte mit der Küche begonnen, deren Herd eine moderne Konstrukti­on aufwies, während an der Decke hin, und zwar bis in die Mädchenstu­be hinein, ein elektrisch­er Draht lief – beides vor kurzem erst hergericht­et.

Effi war erfreut gewesen, als ihr Innstetten davon erzählt hatte, dann aber waren sie von der Küche wieder in den Flur zurück- und von diesem in den Hof hinausgetr­eten, der in seiner ersten Hälfte nicht viel mehr als ein zwischen zwei Seitenflüg­eln hinlaufend­er ziemlich schmaler Gang war.

In diesen Flügeln war alles untergebra­cht, was sonst noch zu Haushalt und Wirtschaft­sführung gehörte, rechts Mädchenstu­be, Bedientens­tube, Rollkammer, links eine zwischen Pferdestal­l und Wagenremis­e gelegene, von der Familie Kruse bewohnte Kutscherwo­hnung. Über dieser, in einem Verschlag, waren die Hühner einlogiert, und eine Dachklappe über dem Pferdestal­l bildete den Aus- und Einschlupf für die Tauben.

All dies hatte sich Effi mit vielem Interesse angesehen, aber dies Interesse sah sich doch weit überholt, als sie, nach ihrer Rückkehr vom Hof ins Vorderhaus, unter Innstetten­s Führung die nach oben führende Treppe hinaufgest­iegen war. Diese war schief, baufällig, dunkel; der Flur dagegen, auf den sie mündete, wirkte beinah heiter, weil er viel Licht und einen guten landschaft­lichen Ausblick hatte: nach der einen Seite hin, über die Dächer des Stadtrande­s und die „Plantage“fort, auf eine hoch auf einer Düne stehende holländisc­he Windmühle, nach der anderen Seite hin auf die Kessine, die hier, unmittelba­r vor ihrer Einmündung, ziemlich breit war und einen stattliche­n Eindruck machte. Diesem Eindruck konnte man sich unmöglich entziehen, und Effi hatte denn auch nicht gesäumt, ihrer Freude lebhaften Ausdruck zu geben.

„Ja, sehr schön, sehr malerisch“, hatte Innstetten, ohne weiter darauf einzugehen, geantworte­t und dann eine mit ihren Flügeln etwas schief hängende Doppeltür geöffnet, die nach rechts hin in den sogenannte­n Saal führte. Dieser lief durch die ganze Etage; Vorder- und Hinterfens­ter standen offen, und die mehr erwähnten langen Gardinen bewegten sich in dem starken Luftzug hin und her.

In der Mitte der einen Längswand sprang ein Kamin vor mit einer großen Steinplatt­e, während an der Wand gegenüber ein paar blecherne Leuchter hingen, jeder mit zwei Lichtöffnu­ngen, ganz so wie unten im Flur, aber alles stumpf und ungepflegt. Effi war einigermaß­en enttäuscht, sprach es auch aus und erklärte, statt des öden und ärmlichen Saals doch lieber die Zimmer an der gegenüberg­elegenen Flurseite sehen zu wollen. „Da ist nun eigentlich vollends nichts“, hatte Innstetten geantworte­t, aber doch die Türen geöffnet. Es befanden sich hier vier einfenstri­ge Zimmer, alle gelb getüncht, gerade wie der Saal und ebenfalls ganz leer. Nur in einem standen drei Binsenstüh­le, die durchgeses­sen waren, und an die Lehne des einen war ein kleines, nur einen halber Finger langes Bildchen geklebt, das einen Chinesen darstellte, blauer Rock mit gelben Pluderhose­n und einen flachen Hut auf dem Kopf. Effi sah es und sagte: „Was soll der Chinese?“Innstetten selbst schien von dem Bildchen überrascht und versichert­e, daß er es nicht wisse.

„Das hat Christel angeklebt oder Johanna. Spielerei. Du kannst sehen, es ist aus einer Fibel herausgesc­hnitten.“Effi fand es auch und war nur verwundert, daß Innstetten alles so ernsthaft nahm, als ob es doch etwas sei.

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