Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Wir sind keine digitalen Wesen“
Die Schauspielerin erzählt, warum Menschen aus Ostdeutschland anders sind – und wofür sie sich in Grund und Boden geschämt hat
Konnten Sie Timm Thaler in Ihrer Jugend sehen oder lesen?
Nadja Uhl: Ich kannte die Serie mit Thomas Ohrner und auch das Buch, ich bin damit aufgewachsen. Deshalb war ich auch begeistert, dass sich Andreas [Dresen, die Red.] dieser Geschichte noch einmal annimmt.
Die echte Welt funktioniert leider etwas anders als die Geschichte des Jungen, der dem Bösen sein Lachen verkauft und dafür jede Wette gewinnt – Nach der Bankenkrise lassen die Banker wieder die Korken knallen. Haben wir unser Lachen weggegeben, ohne eine Gegenleistung zu bekommen?
Uhl: Was sich während der Bankenkrise abgespielt hat, war in den Augen eines fleißigen, normalen Menschen natürlich der blanke Zynismus. Da sind wir doch eigentlich alle einer Meinung. Aber nur selten werden die Veränderungen wirklich benannt, denen wir unterliegen. Es entspricht meiner Weltsicht, dass ich zutiefst an das Gute im Menschen glaube. Vielleicht aus Gründen der Selbsterhaltung. Man muss nur Kleinkinder beobachten, um zu sehen, dass wir gut und solidarisch veranlagt sind. Was aber geschieht mit Menschen, wenn sie sich „Werte“einreden lassen, die einzig dazu gedacht sind, ihre furchtbare innere Leere zu füllen? Diese Leere kann aber nie materiell gefüllt werden. Das Resultat ist maßlose Gier.
Sie meinen, dass wir alle ein neues Werteverständnis entwickeln müssen?
Uhl: Absolut. Die Menschen sind nicht dumm und uninteressiert, die breite Masse ist im Moment noch nicht verführbar. Ich beobachte neuerdings eine unglaubliche Wachsamkeit in Gesprächen um mich herum, und sei es aus einem Instinkt heraus, dass irgendetwas schiefläuft. Das ist schwer zu benennen. Wenn man als Erwachsener einen Film wie „Timm Thaler“sieht, sagt man sich, Gott sei Dank schaut noch jemand hin. Aufs Menschliche. Auf die Liebe. Der Mensch ist analog. Wir sind keine digitalen Wesen. Mit künstlichen Intelligenzen werden wir niemals konkurrieren können. Und auch nicht mit den Algorithmen, die die Banken bei ihren Geschäften einsetzen. Die digitale Gesellschaft ist nicht das Größte. Ich glaube, dass die modernsten Menschen bald wieder analog leben werden. Es wird der letzte Schrei sein, sich wirklich zu begegnen, sich zu berühren, zu umarmen. Real im Hier und Jetzt zu sein. Wenn man heute sagt, dass die Mangelgesellschaft der DDR den sozialen Zusammenhalt gefördert hat, wird man häufig angefeindet. Was sind Ihre Erfahrungen?
Uhl: Das ist doch schlichtweg die Wahrheit. Mangel schmiedet zusammen. Ich bin das Kind einer Familie, die sich in der DDR kritisch engagierte, um Dinge zu verbessern, und dadurch wirklich sehr viele Probleme bekommen hat. Trotzdem verteidige ich immer mehr bestimmte soziale Werte, die Solidarität und den humanen Umgang der Normalbürger miteinander, auch das Männer- und Frauenbild, das uns als Kinder geprägt hat. Meiner Meinung nach wird heute nicht ausreichend beachtet, dass ein großer Teil unserer Gesellschaft völlig anders sozialisiert ist, nämlich wir aus dem Osten. Unser Fokus lag zwangsläufig nicht auf materiellen Werten, was natürlich auch eine große Sehnsucht nach bestimmten Dingen generiert hat. Uns fallen heute aber vielleicht auch gesellschaftliche Verschiebungen eher auf als Menschen, die diese Sozialisierung nicht erfahren haben. Dazu müssen wir auch stehen. Es gibt durchaus etwas zu verbessern. Und, um Harald Welzer zu zitieren, wir müssen mehr denn je „selbst denken“. Waren Sie je in Versuchung, eine Rolle nur des Geldes wegen anzunehmen?
Uhl: Es gab einen Film, der mir keinen Spaß gemacht hat und den ich nicht mochte. Eine befreundete Produzentin sagte mir während der Dreharbeiten, ich solle einfach nur ans Geld denken. Tatsächlich habe ich mich während dieser Zeit total unwohl gefühlt, angefangen zu rauchen und fünf Kilo abgenommen. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt, weil ich diesen Film so sinnlos und dümmlich fand. Es hat mich wirklich krank gemacht. Andererseits habe ich bereits Werbung für einen Kraftfahrzeughersteller gemacht, als noch das Klischee bestand, dass man das als seriöser Schauspieler nicht tut. Ich habe das Angebot zunächst auch abgelehnt. Dann habe ich einen Mann getroffen, der schon lange für diese Firma tätig war und sein Vater vor ihm auch. Er hat so authentisch erklärt, warum er für die Firma regelrecht lebt. Das hat meine Meinung geändert, ich konnte gut dazu stehen, so mein Geld zu verdienen. Es stand etwas Gutes dahinter.
Wie gehen Sie bei der Erziehung Ihrer Kinder mit TV und Internet um?
Uhl: Im Internet sind meine Kinder so gut wie gar nicht. Sie sind sieben und zehn und wir hören im Netz vielleicht mal Musik. Ich halte den öffentlich-rechtlichen Kinderkanal für eine gute Sache. Hauptsächlich geht es mir darum, dass meine Kinder herausfinden, worum es im Leben wirklich geht. Wirklicher Wohlstand bedeutet, dass etwas „wohl steht“und man im Leben glücklich und erfüllt ist. Sie sollen versuchen, glücklich zu werden. Das ist viel. In unserem Werteverständnis bedeutet das nicht, materielle Statussymbole anzuhäufen, sondern auch zu geben. Und immer eigenständig zu denken, Fragen zu stellen. Wir haben das als Kinder gelernt. Wir waren Teil eines – wenn auch verordneten – Kreislaufs, der viel mit Geben und Solidarität zu tun hatte. Der Antifaschismus war ganz ehrlich und aufrichtig. Das Sammeln von Altstoffen genauso. Und das kritische Denken später. Mit allen schmerzhaften Konsequenzen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so eine Verteidigerin meiner Kindheit werden würde und der Werte, die uns als Kinder geprägt haben. Aber ich sehe, wie wichtig sie heute sind.
Von „Timm Thaler“-Autor James Krüss heißt es, er sei ein Leben lang ein Kind geblieben. Ist Ihr inneres Kind noch wohlauf?
Uhl: Mehr denn je. Ich habe mich im Erwachsensein immer seltsam falsch gefühlt, weil ich unterbewusst von meiner Kindheit getrieben wurde. Diese Kindheit war trotz einiger schwerer Brüche von einem familiären Miteinander geprägt. Es war ein kleinstädtisches, mecklenburgisches Umfeld mit einer Familie, deren Zusammenhalt legendär war. Ich genoss Narrenfreiheit und hatte Zeit für Träume. Durch die Brüche im Leben wird man scheinbar eines anderen belehrt. Wir kennen diese Leier: Das Leben ist hart, das Leben ist ungerecht. Das stimmt ja auch zum Teil. Trotzdem habe ich mich geweigert, diese Prozesse in meinem Leben resignativ hinzunehmen. Ich reagiere darauf mit einer kindlichen Renitenz. Eine Verbindung zu seinem inneren Kind zu haben, ist das Kostbarste überhaupt. Ich bin kein Träumer. Ich weiß, wie hart einen das Leben umhauen kann – Krankheit, Tod, Verlust, Schmerzen, die einem zugefügt werden. Aber gerade weil ich Kind geblieben bin, bin auch ein Realist.