Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schulhefte als Schienbeinschoner
Rückblende Eishockey in Westheim hat lange Tradition. Als die „Bauernmannschaft“gegen den großen AEV gewann
Gab es bereits 1931 einen Ski-Club in Westheim, so übten sich die jungen Burschen aus dem Dorf, aber auch aus Neusäß und Steppach, in den Jahren 1937 bis 1940 im Eishockey. In einer kleinen Chronik, verfasst von einem Herrn Wackler, heißt es dazu: Am Anfang tollte die Westheimer Jugend mit Spazierstöcken bewaffnet hinter einem Tennisball her. Die großen Schlachten wurden auf dem Müllerwirtsweiher oder auf der Zieglach geschlagen. Die Tore waren vorerst mit Blechkübeln, Mützen oder Stiefeln markiert. Kultivierter wurde die Sache erst, als die ersten Eishockeyschläger auftauchten. Ein weiterer Fortschritt war das Verschwinden des Tennisballs, den eine „echte“Eishockeyscheibe ablöste.
Das Jahr 1938 brachte einen revolutionären Umschwung. Im Sommer dieses Jahres wurde der ehemalige Fußballplatz am Hainhofer Weg durch Gemeinschaftsarbeit in ein Eisstadion verwandelt. Das Wasser wurde wohl vom Graben, der vom Schlossweiher kam, hierhin geleitet. Durch fleißiges Training ermuntert, meldete man eine Mannschaft zu einem Jugendturnier nach Augsburg. Doch zunächst wurde die „Bauernmannschaft“nicht berücksichtigt. Schließlich gelang es doch noch, mit den Augsburger Eishockeykanonen ein Freundschaftsspiel abzuschließen. Man erschien erstmals mit Torwartausrüstung und blauschwarzen Uniformen.
„Die übrige Ausrüstung verschweigen wir lieber, denn wir möchten nicht gerne von als Schienbeinschützern verwendeten Schulheften berichten“, heißt es in der handgeschriebenen Chronik. Die Schulhefte wurden hinter die dicken Strümpfe geschoben. Mitleidig empfingen die Augsburger das große Opfer und sie gedachten, die Westheimer mit ungefähr 15:0 wie der AEV-Torwart Siegle den Gästen so nebenbei versicherte. Doch die Überraschung war groß, als Westheim mit 3:0 als Sieger vom Eis ging. Die größte Freude des Abends war das Tor unseres kleinen Linksaußen Betze.
Wie umgewandelt war die Meinung der Herren Augsburger über uns. Wir erhielten sofort ein Angebot, unter günstigen Bedingungen in den AEV einzutreten. Nach reiflicher Überlegung waren wir zur Fusion bereit, unter der Hauptbedingung, dass der Name Westheim nie verschwindet. So geschah es dann auch. Bei einem Turnier am 26. Dezember 1939 besiegte Westheim den AEV mit 5:3, Schwaben Augsburg mit 4:2 und eine Augsburger Auswahl mit 3:2. Durch den Zweiten Weltkrieg ging das Westheimer „Eishockey-Märchen“leider zu Ende.
Doch der „Müllerwirtsweiher“in Westheim war auch weiterhin das Ziel vieler Kinder und Jugendlichen, die sich hier zum Schlittschuhlaufen trafen und ihre Pirouetten drehten. Wenn ein Kind einmal an einer niedrigen Stelle eingebrochen war, so wurde es nach seiner Rettung auf dem Kachelofen in der Wirtsstube von der Müller Peppi wieder getrocknet, erinnert sich der Chronist.
Obwohl längst nicht mehr auf den Weihern gespielt wurde, wurden in den letzten Jahrzehnten zwei Westheimer Brüderpaare als Eishockeyprofis weit über die Grenzen ihrer Heimat hinaus bekannt. Es sind dies Robert und Klaus Merk sowie Torsten und Michael Fendt. Alle vier kamen in ihrer frühen Jugendzeit zum AEV und gingen ihren Weg durch die deutschen Eishockey-Ligen. Klaus Merk schaffte es als Torwart bereits 1983 bei der EM in die U18Nationalmannschaft und über die darauf folgenden Weltmeisterschaften dieser Altersklasse bis in die deutsche A-Nationalmannschaft, für die er 128 Mal das Tor hütete. Höhepunkt waren die Olympischen Winterspiele in Lillehammer im Jahr 1994. Bei allen drei Siegen der deutschen Mannschaft in der Gruppe A stand Klaus Merk im Tor, sicher unvergessen der 4:2-Erfolg geheimzuschicken, gen Russland (GUS). 2002 beendete er bei den Eisbären Berlin seine aktive Laufbahn. Heute ist Klaus Merk Team-Manager der Nationalmannschaft und Bundes-Torwarttrainer. Sein älterer Bruder Robert spielte 1996 seine letzte ProfiSaison beim AEV und ist seit einiger Zeit dort als Trainer in der Jugendarbeit tätig. Hier gibt er den ganz Kleinen in der „Laufschule“sein Können weiter.
Torsten Fendt kam als Neunjähriger zu den „Kleinschülern“des AEV und spielte später in der U18 und U20 bei Europa- und Weltmeisterschaften für Deutschland. Höhepunkt bleibt die U18-Europameisterschaft 1994 in Deutschland, bei der die Mannschaft den zweiten Platz belegte. Neben anderen Vereinen spielte er 415 Mal für den Augsburger Verein und im Frühjahr meist bei den Fußballern des TSV Diedorf. Seine Profi-Laufbahn ging 2014 bei den Heilbronner Falken zu Ende. Im Anschluss wurde er für kurze Zeit Nachwuchs-Cheftrainer bei den Augsburger Panthern. Aus zeitlichen Gründen gab er diese Aufgabe bald wieder zurück und ist nun zur Aushilfe als Trainer bei den Kleinschülern tätig.
Sein jüngerer Bruder Michael kam ebenfalls schon als Schüler zum Eishockey. Zur Europameisterschaft 1997 in Tschechien wurde auch er in die U18-Nationalmannschaft berufen. Nach verschiedenen Stationen bei deutschen Vereinen ließ er 2014 beim Hamburger SV seine ProfiLaufbahn ausklingen und ist nun als Schiedsrichter weiterhin mit dem Eishockeysport verbunden. Die Westheimer Eishockey-Gene, die vielleicht auf den Weihern ringsum entstanden, hatten eine lange Haltbarkeit.