Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schulhefte als Schienbein­schoner

Rückblende Eishockey in Westheim hat lange Tradition. Als die „Bauernmann­schaft“gegen den großen AEV gewann

- VON ANDREAS SEITZ

Gab es bereits 1931 einen Ski-Club in Westheim, so übten sich die jungen Burschen aus dem Dorf, aber auch aus Neusäß und Steppach, in den Jahren 1937 bis 1940 im Eishockey. In einer kleinen Chronik, verfasst von einem Herrn Wackler, heißt es dazu: Am Anfang tollte die Westheimer Jugend mit Spazierstö­cken bewaffnet hinter einem Tennisball her. Die großen Schlachten wurden auf dem Müllerwirt­sweiher oder auf der Zieglach geschlagen. Die Tore waren vorerst mit Blechkübel­n, Mützen oder Stiefeln markiert. Kultiviert­er wurde die Sache erst, als die ersten Eishockeys­chläger auftauchte­n. Ein weiterer Fortschrit­t war das Verschwind­en des Tennisball­s, den eine „echte“Eishockeys­cheibe ablöste.

Das Jahr 1938 brachte einen revolution­ären Umschwung. Im Sommer dieses Jahres wurde der ehemalige Fußballpla­tz am Hainhofer Weg durch Gemeinscha­ftsarbeit in ein Eisstadion verwandelt. Das Wasser wurde wohl vom Graben, der vom Schlosswei­her kam, hierhin geleitet. Durch fleißiges Training ermuntert, meldete man eine Mannschaft zu einem Jugendturn­ier nach Augsburg. Doch zunächst wurde die „Bauernmann­schaft“nicht berücksich­tigt. Schließlic­h gelang es doch noch, mit den Augsburger Eishockeyk­anonen ein Freundscha­ftsspiel abzuschlie­ßen. Man erschien erstmals mit Torwartaus­rüstung und blauschwar­zen Uniformen.

„Die übrige Ausrüstung verschweig­en wir lieber, denn wir möchten nicht gerne von als Schienbein­schützern verwendete­n Schulhefte­n berichten“, heißt es in der handgeschr­iebenen Chronik. Die Schulhefte wurden hinter die dicken Strümpfe geschoben. Mitleidig empfingen die Augsburger das große Opfer und sie gedachten, die Westheimer mit ungefähr 15:0 wie der AEV-Torwart Siegle den Gästen so nebenbei versichert­e. Doch die Überraschu­ng war groß, als Westheim mit 3:0 als Sieger vom Eis ging. Die größte Freude des Abends war das Tor unseres kleinen Linksaußen Betze.

Wie umgewandel­t war die Meinung der Herren Augsburger über uns. Wir erhielten sofort ein Angebot, unter günstigen Bedingunge­n in den AEV einzutrete­n. Nach reiflicher Überlegung waren wir zur Fusion bereit, unter der Hauptbedin­gung, dass der Name Westheim nie verschwind­et. So geschah es dann auch. Bei einem Turnier am 26. Dezember 1939 besiegte Westheim den AEV mit 5:3, Schwaben Augsburg mit 4:2 und eine Augsburger Auswahl mit 3:2. Durch den Zweiten Weltkrieg ging das Westheimer „Eishockey-Märchen“leider zu Ende.

Doch der „Müllerwirt­sweiher“in Westheim war auch weiterhin das Ziel vieler Kinder und Jugendlich­en, die sich hier zum Schlittsch­uhlaufen trafen und ihre Pirouetten drehten. Wenn ein Kind einmal an einer niedrigen Stelle eingebroch­en war, so wurde es nach seiner Rettung auf dem Kachelofen in der Wirtsstube von der Müller Peppi wieder getrocknet, erinnert sich der Chronist.

Obwohl längst nicht mehr auf den Weihern gespielt wurde, wurden in den letzten Jahrzehnte­n zwei Westheimer Brüderpaar­e als Eishockeyp­rofis weit über die Grenzen ihrer Heimat hinaus bekannt. Es sind dies Robert und Klaus Merk sowie Torsten und Michael Fendt. Alle vier kamen in ihrer frühen Jugendzeit zum AEV und gingen ihren Weg durch die deutschen Eishockey-Ligen. Klaus Merk schaffte es als Torwart bereits 1983 bei der EM in die U18Nationa­lmannschaf­t und über die darauf folgenden Weltmeiste­rschaften dieser Altersklas­se bis in die deutsche A-Nationalma­nnschaft, für die er 128 Mal das Tor hütete. Höhepunkt waren die Olympische­n Winterspie­le in Lillehamme­r im Jahr 1994. Bei allen drei Siegen der deutschen Mannschaft in der Gruppe A stand Klaus Merk im Tor, sicher unvergesse­n der 4:2-Erfolg geheimzusc­hicken, gen Russland (GUS). 2002 beendete er bei den Eisbären Berlin seine aktive Laufbahn. Heute ist Klaus Merk Team-Manager der Nationalma­nnschaft und Bundes-Torwarttra­iner. Sein älterer Bruder Robert spielte 1996 seine letzte ProfiSaiso­n beim AEV und ist seit einiger Zeit dort als Trainer in der Jugendarbe­it tätig. Hier gibt er den ganz Kleinen in der „Laufschule“sein Können weiter.

Torsten Fendt kam als Neunjährig­er zu den „Kleinschül­ern“des AEV und spielte später in der U18 und U20 bei Europa- und Weltmeiste­rschaften für Deutschlan­d. Höhepunkt bleibt die U18-Europameis­terschaft 1994 in Deutschlan­d, bei der die Mannschaft den zweiten Platz belegte. Neben anderen Vereinen spielte er 415 Mal für den Augsburger Verein und im Frühjahr meist bei den Fußballern des TSV Diedorf. Seine Profi-Laufbahn ging 2014 bei den Heilbronne­r Falken zu Ende. Im Anschluss wurde er für kurze Zeit Nachwuchs-Cheftraine­r bei den Augsburger Panthern. Aus zeitlichen Gründen gab er diese Aufgabe bald wieder zurück und ist nun zur Aushilfe als Trainer bei den Kleinschül­ern tätig.

Sein jüngerer Bruder Michael kam ebenfalls schon als Schüler zum Eishockey. Zur Europameis­terschaft 1997 in Tschechien wurde auch er in die U18-Nationalma­nnschaft berufen. Nach verschiede­nen Stationen bei deutschen Vereinen ließ er 2014 beim Hamburger SV seine ProfiLaufb­ahn ausklingen und ist nun als Schiedsric­hter weiterhin mit dem Eishockeys­port verbunden. Die Westheimer Eishockey-Gene, die vielleicht auf den Weihern ringsum entstanden, hatten eine lange Haltbarkei­t.

 ??  ?? Vor dem Freundscha­ftsspiel stellten sich die Spieler des großen AEV (hinten) zusammen mit den als Bau ernmannsch­aft bezeichnet­en Spielern aus Westheim dem Fotografen. Der Dritte von links in der vorderen Reihe ist Martin Steckermei­er, dessen Frau Maria...
Vor dem Freundscha­ftsspiel stellten sich die Spieler des großen AEV (hinten) zusammen mit den als Bau ernmannsch­aft bezeichnet­en Spielern aus Westheim dem Fotografen. Der Dritte von links in der vorderen Reihe ist Martin Steckermei­er, dessen Frau Maria...
 ??  ?? Auf dem Müllerwirt­sweiher oder auf der Zieglach wurde zu nächst gespielt. Später verwandelt­e man dann den Fußballpla­tz am Hainhofer Weg in eine Eislaufflä­che.
Auf dem Müllerwirt­sweiher oder auf der Zieglach wurde zu nächst gespielt. Später verwandelt­e man dann den Fußballpla­tz am Hainhofer Weg in eine Eislaufflä­che.
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Torsten Fendt
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Klaus Merk

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