Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Betrug bei einem Pflegedienst?
Prozess Ein ambulantes Unternehmen, das russischsprachige Patienten betreute, soll laut Anklage die Kassen und die Stadt um 160 000 Euro gebracht haben. Warum es schwierig wird, den Fall vor Gericht aufzuklären
Hat ein ambulanter Pflegedienst, der vor allem russischsprachige ältere Patienten aus der ehemaligen Sowjetunion betreute, mehrere Krankenkassen und das Sozialamt der Stadt Augsburg um rund 160000 Euro betrogen? Ein Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Stefan Lenzenhuber wird diese Frage in einem auf fünf Verhandlungstage angesetzten Prozess gegen zwei Verantwortliche des Pflegeunternehmens zu beantworten haben. Die Beweislage ist schwierig.
Staatsanwältin Andrea Hobert wirft dem Gründer und Geschäftsführer des Pflegedienstes, 35, sowie einer Pflegedienstleiterin, 39, Betrug in 108 Einzelfällen vor. Sie sollen in den Jahren 2012 und 2013 Leistungen der ambulanten Pflege wie Insulininjektionen, Medikamentenabgaben oder das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen bei Krankenkassen abgerechnet haben – ohne dass diese Leistungen überhaupt erbracht wurden. Auch hauswirtschaftliche Hilfsdienste bei Patienten wie Einkaufen oder Kochen sollen in den Leistungsnachweisen fingiert worden sein.
Der Gründer des 2009 zugelassenen Pflegedienstes, ein gebürtiger Ukrainer (Verteidiger: Walter Rubach), beteuert in seiner grundsätzlichen Erklärung, alle Leistungen seien vom Russisch sprechenden Hausarzt verordnet beziehungsweise vom Medizinischen Dienst der Kassen genehmigt und überprüft worden.
Zeitweise waren von dem Pflegedienst über 80 Patienten betreut worden, die großteils nur russisch sprachen. „Die Patienten kamen durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu uns, weil wir gute Pflege erbracht haben“, erklärt der Geschäftsführer, der ehrenamtlich in Vereinen aktiv war, in denen viele Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion Mitglied waren. Bis zu 40 Mitarbeiter beschäftigte das Unternehmen, die ebenfalls zumeist kaum Deutsch sprachen. Problemlos funktionierte die Kommunikation wohl nicht.
Die bereits in deutscher Sprache ausgefüllten, vorgedruckten Leistungsnachweise wurden häufig erst Tage später im Büro des Dienstes von den Mitarbeitern unterschrieben, nachdem sie zuvor – manchmal von ihren eigenen Kindern – auf Russisch übersetzt worden waren. Auch die Patienten, zum Teil bereits dement, konnten die Leistungsnachweise selbst nicht lesen, sie unterschrieben – was freilich gesetzlich so geregelt ist – wöchentlich oder einmal im Monat mit ihrem Namenskürzel. Der angeklagte Geschäftsführer stellt aber klar: „Ich habe niemals den Auftrag gegeben, Leistungen abzuzeichnen, die nicht erbracht worden waren.“
Die angeklagte Pflegedienstleiterin (Verteidiger: Wilhelm Seitz), eine ausgebildete Krankenschwester, ist sich ebenso keiner Schuld bewusst: