Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Tausche Sack Kartoffeln gegen Computer Update
Nachbarschaftshilfe Warum die Wertinger Zeittauschbörse trotz guter Ideen auf der Stelle tritt
Die Währung heißt bei ihnen „Talente“. Und die werden in einem Tauschbuch, das bewusst einem klassischen Sparbuch ähnelt, eingetragen. Birga Wendt zum Beispiel verzeichnet aktuell mit 109 Talenten ein ordentliches Minus auf ihrem Konto. Zum 40. gönnte sie sich eine Köchin, die das Festmahl zubereitete. Und sie ließ sich auch schon mal die Fenster putzen und den Kompost umsetzen. Vor dem Minus ist der 44-jährigen Sozialpädagogin aus Roggden aber nicht bang. Sie bringt schließlich selbst Talente mit, die von anderen Tauschringmitgliedern abgerufen werden dürfen. Da sie als gesetzliche Betreuerin arbeitet, kennt sie sich mit Vorsorgevollmachten oder anderen behördlichen Vorgängen bestens aus. Sie begleitet beim Gang zum Arbeitsamt oder beim Formulieren eines Briefes.
Doch eine Sorge treibt sie und ihre Mitstreiterinnen derzeit um: Der Tauschhandel in der Region schwächelt und tritt auf der Stelle. Dabei gäbe es einiges zu tun. Fensterputzen, Rasenmähen, Schneeschippen oder beim Umzug mit anpacken.
Die Nachfrage sei groß, aber es fehle an Leuten. Der Tauschring zeige einen Frauenüberhang, und auch das Alter der 140 Mitglieder bewege sich bei 40 plus.
„Schade“, findet Ursula Czerwenka. „Ich denke, dass Tauschen gerade in unserer jetzigen Gesellschaft eine wichtige Möglichkeit darstellt, um wieder mit dem Gegenüber in Kontakt zu kommen.“Dabei könne man sich selbst neu entdecken und kennenlernen. Obwohl die 61-Jährige im Rollstuhl sitzt, ist sie die treibende Kraft des Tauschrings. Die Wertinger Zeittauschbörse baute sie vor 17 Jahren mit auf. Seit einem Unfall vor sieben Jahren wohnt sie in Eisenbrechtshofen und gründete dort den „Tauschring Schmuttertal“. Seit Kurzem arbeiten beide Tauschgruppen Hand in Hand.
In der Küche von Ursula Czervenka findet einmal im Monat ein Talente-Café statt. Und auch bei der Gründung des Repair-Cafés in Meitingen war sie mitbeteiligt.
Das Image von häkelnden und sockenstopfenden Frauen hängt den Tauschkreisen jedoch immer noch an. Dabei geht es mittlerweile um viel mehr: Wie wäre es, einen Urlaub zu buchen – ohne Euro und Cent? Nur wenige wüssten, dass es diese Form der Nachbarschaftshilfe weltweit gibt und nicht nur im ländlichen Bereich. „Es kann von Hamburg nach Kempten und von Dres- den nach Düsseldorf getauscht werden und sogar weit über die Landesgrenzen hinaus“, sagt Gabriele Mader, Gemeinderätin in Biberbach. Kunstgegenstände und Übernachtungen könnten beispielsweise europaweit zum Tausch angeboten werden.
In Zusamaltheim wurde erst kürzlich einer Frau aus Norddeutschland ein Zimmer für eine Woche angeboten, die in Dillingen eine Fortbildung besuchte.
Jedes Angebot und jede Arbeit ist bei der Tauschbörse gleich viel wert. Egal, ob eine Stunde lang gebügelt wurde oder in derselben schwierige Finanzierungsfragen gelöst wurden. Eine Stunde ist zehn Talente wert.
„Ist das nicht fantastisch,“, schwärmt Ursula Czervenka, „dass die Arbeit eines Lehrers genauso viel wert ist wie die eines Handwerkers, die Arbeitszeit einer Frau genauso viel wie die eines Mannes.“Und der Arbeitslose, der zu Hause sitzt und Däumchen dreht, werde endlich wieder gebraucht. Und sie hat eine Vision: „Wenn wir es schaffen, unsere Kinder und Jugendlichen mit einzubeziehen, dann könnte irgendwann einmal eine neue Welt ohne die Macht des Geldes erschaffen werden.“O
Kontakt: Ursula Czervenka 08271/4217362, Birga Wendt 08272/609073, Ute Haschlar 08272/5945.