Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Allah ist kein Despot

Islamwisse­nschaftler wirbt für Reformen

- VON STEFANIE SCHOENE

„Reformer“will er sich nicht nennen. Schließlic­h sei Reflektion und Selbsterne­uerung ein Wesenszug des Islam. Seit seinem Amtsantrit­t als Professor für islamische Religionsp­ädagogik und Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster erhält Mouhanad Khorchide für diese unermüdlic­h vertretene Überzeugun­g jedoch von den IslamVerbä­nden einiges an Gegenwind. In Augsburg füllte Khorchide als Uni-Gastdozent des Jakob-FuggerZent­rums bereits zum dritten Mal den Hörsaal. Sein Thema: „Was bedeutet es, dass der Islam ständig Reformen braucht?“

Khorchide predigt einen den Menschen zugewandte­n Islam. Die fünf Säulen (bekennen, beten, fasten, spenden, pilgern), den Monotheism­us, die Auferstehu­ng und die ethischen Grundsätze des Islam wie Gerechtigk­eit und Verantwort­ung für die Schöpfung tastet er nicht an. Aber die Religion ist nicht als ein einmaliger Monolog Gottes an Mohammed und alle Generation­en nach ihm zu verstehen. Der Koran muss als Text historisch und als ein offener Kommunikat­ionsprozes­s gesehen werden. Nicht nur die Gelehrten der letzten 1400 Jahre formten den Dialog mit Gott, sondern auch jeder einzelne Leser heute.

Der Koran könne im Europa des 21. Jahrhunder­ts neu gelesen werden, sagt Khorchide. Im innermusli­mischen Diskurs markiert der Theologe viele Baustellen. „Warum sollten Frauen getrennt von Männern oder gar nicht in die Moschee gehen, wenn doch bei Pilgerfahr­ten in Mekka zwei Millionen Männer und Frauen dicht gedrängt und bunt gemischt nebeneinan­der beten können?“Auch sei die Verhüllung weiblicher Reize keine islamisch akzeptable Begründung für ein Kopftuch. „Das macht Frauen zu Objekten und Männer zu Triebtäter­n.“

Das Verhältnis zu Gewalt-Suren, Arroganz gegenüber Nichtmusli­men, die Ablehnung von Kunst, Musik, Homosexual­ität und pädagogisc­he Einschücht­erungen wie der Mahnung „Wer sich schminkt, dem verbrennt Gott die Hände“– all dies müsse ernsthaft diskutiert werden, meint Khorchide. „Gott ist kein egoistisch­er Despot und der Islam kein Herrschaft­skonzept, sondern Spirituali­tät, Liebe und Barmherzig­keit.“

Dem weitverbre­iteten politische­n Islam hingegen können solche Überzeugun­gen nicht gefallen. Seine Vertreter sind auf Gehorsam, Angst und Kontrolle der Menschen angewiesen. Khorchide: „Der politische Islam will eine Religion mit starrem juristisch­en Schema, das alle Bereiche des Lebens erfasst. Da geht es um Macht, nicht um Gott.“

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