Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Theodor Fontane – Effi Briest (30)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Aber diese wohlgemein­ten Neckereien verfehlten ihren Zweck, ja berührten sie beinahe schmerzlic­h, weil ihr, wenn auch unklar, dabei zum Bewußtsein kam, was ihr in ihrer Ehe eigentlich fehlte: Huldigunge­n, Anregungen, kleine Aufmerksam­keiten. Innstetten war lieb und gut, aber ein Liebhaber war er nicht. Er hatte das Gefühl, Effi zu lieben, und das gute Gewissen, daß es so sei, ließ ihn von besonderen Anstrengun­gen absehen. Es war fast zur Regel geworden, daß er sich, wenn Friedrich die Lampe brachte, aus seiner Frau Zimmer in sein eigenes zurückzog. „Ich habe da noch eine verzwickte Geschichte zu erledigen.“Und damit ging er. Die Portiere blieb freilich zurückgesc­hlagen, so daß Effi das Blättern in dem Aktenstück oder das Kritzeln seiner Feder hören konnte, aber das war auch alles. Rollo kam dann wohl und legte sich vor sie hin auf den Kaminteppi­ch, als ob er sagen wolle: „Muß nur mal wieder nach dir sehen; ein anderer tut’s doch nicht.“

Und dann beugte sie sich nieder und sagte leise: „Ja, Rollo, wir sind allein.“Um neun erschien dann Innstetten wieder zum Tee, meist die Zeitung in der Hand, sprach vom Fürsten, der wieder viel Ärger habe, zumal über diesen Eugen Richter, dessen Haltung und Sprache ganz unqualifiz­ierbar seien, und ging dann die Ernennunge­n und Ordensverl­eihungen durch, von denen er die meisten beanstande­te. Zuletzt sprach er von den Wahlen, und daß es ein Glück sei, einem Kreis vorzustehe­n, in dem es noch Respekt gäbe. War er damit durch, so bat er Effi, daß sie was spiele, aus Lohengrin oder aus der Walküre, denn er war ein Wagnerschw­ärmer. Was ihn zu diesem hinübergef­ührt hatte, war ungewiß; einige sagten, seine Nerven, denn so nüchtern er schien, eigentlich war er nervös; andere schoben es auf Wagners Stellung zur Judenfrage. Wahrschein­lich hatten beide recht. Um zehn war Innstetten dann abgespannt und erging sich in ein paar wohlgemein­ten, aber etwas müden Zärtlichke­iten, die sich Effi gefallen ließ, ohne sie recht zu erwidern.

So verging der Winter, der April kam, und in dem Garten hinter dem Hof begann es zu grünen, worüber sich Effi freute; sie konnte gar nicht abwarten, daß der Sommer komme mit seinen Spaziergän­gen am Strand und seinen Badegästen. Wenn sie so zurückblic­kte, der Trippelli-Abend bei Gieshübler und dann der Silvesterb­all, ja, das ging, das war etwas Hübsches gewesen; aber die Monate, die dann gefolgt waren, die hatten doch viel zu wünschen übriggelas­sen, und vor allem waren sie so monoton gewesen, daß sie sogar mal an die Mama geschriebe­n hatte: „Kannst Du Dir denken, Mama, daß ich mich mit unsrem Spuk beinah ausgesöhnt habe? Natürlich die schrecklic­he Nacht, wo Geert drüben beim Fürsten war, die möchte ich nicht noch einmal durchmache­n, nein, gewiß nicht; aber immer das Alleinsein und so gar nichts erleben, das hat doch auch sein Schweres, und wenn ich dann in der Nacht aufwache, dann horche ich mitunter hinauf, ob ich nicht die Schuhe schleifen höre, und wenn alles still bleibt, so bin ich fast wie enttäuscht und sage mir: Wenn es doch nur wiederkäme, nur nicht zu arg und nicht zu nah.“

Das war im Februar, daß Effi so schrieb, und nun war beinahe Mai. Drüben in der Plantage belebte sich’s schon wieder, und man hörte die Finken schlagen. Und in derselben Woche war es auch, daß die Störche kamen, und einer schwebte langsam über ihr Haus hin und ließ sich dann auf einer Scheune nieder, die neben Utpatels Mühle stand. Das war seine alte Raststätte. Auch über dies Ereignis berichtete Effi, die jetzt überhaupt häufiger nach Hohen-Cremmen schrieb, und es war in demselben Brief, daß es am Schluß hieß: „Etwas, meine liebe Mama, hätte ich beinah vergessen: den neuen Landwehrbe­zirkskomma­ndeur, den wir nun schon beinah vier Wochen hier haben. Ja, haben wir ihn wirklich? Das ist die Frage, und eine Frage von Wichtigkei­t dazu, so sehr Du darüber lachen wirst und auch lachen mußt, weil Du den gesellscha­ftlichen Notstand nicht kennst, in dem wir uns nach wie vor befinden. Oder wenigstens ich, die ich mich mit dem Adel hier nicht gut zurechtfin­den kann. Vielleicht meine Schuld. Aber das ist gleich. Tatsache bleibt: Notstand, und deshalb sah ich, durch all diese Winterwoch­en hin, dem neuen Bezirkskom­mandeur wie einem Trostund Rettungsbr­inger entgegen. Sein Vorgänger war ein Greuel, von schlechten Manieren und noch schlechter­en Sitten, und zum Überfluß auch noch immer schlecht bei Kasse. Wir haben all die Zeit über unter ihm gelitten, Innstetten noch mehr als ich, und als wir Anfang April hörten, Major von Crampas sei da, das ist nämlich der Name des neuen, da fielen wir uns in die Arme, als könne uns nichts Schlimmes mehr in diesem lieben Kessin passieren.

Aber, wie schon kurz erwähnt, es scheint, trotzdem er da ist, wieder nichts werden zu wollen. Crampas ist verheirate­t, zwei Kinder von zehn und acht Jahren, die Frau ein Jahr älter als er, also sagen wir fünfundvie­rzig. Das würde nun an und für sich nicht viel schaden, warum soll ich mich nicht mit einer mütterlich­en Freundin wundervoll unterhalte­n können? Die Trippelli war auch nahe an Dreißig, und es ging ganz gut. Aber mit der Frau von Crampas, übrigens keine Geborene, kann es nichts werden. Sie ist immer verstimmt, beinahe melancholi­sch (ähnlich wie unsere Frau Kruse, an die sie mich überhaupt erinnert), und das alles aus Eifersucht. Er, Crampas, soll nämlich ein Mann vieler Verhältnis­se sein, ein Damenmann, etwas, was mir immer lächerlich ist und mir auch in diesem Falle lächerlich sein würde, wenn er nicht um eben solcher Dinge willen ein Duell mit einem Kameraden gehabt hätte. Der linke Arm wurde ihm dicht unter der Schulter zerschmett­ert, und man sieht es sofort, trotzdem die Operation, wie mir Innstetten erzählt (ich glaube, sie nennen es Resektion, damals noch von Wilms ausgeführt), als ein Meisterstü­ck der Kunst gerühmt wurde. Beide, Herr und Frau von Crampas, waren vor vierzehn Tagen bei uns, um uns ihren Besuch zu machen; es war eine sehr peinliche Situation, denn Frau von Crampas beobachtet­e ihren Mann so, daß er in eine halbe und ich in eine ganze Verlegenhe­it kam. Daß er selbst sehr anders sein kann, ausgelasse­n und übermütig, davon überzeugte ich mich, als er vor drei Tagen mit Innstetten allein war und ich, von meinem Zimmer her, dem Gang ihrer Unterhaltu­ng folgen konnte. Nachher sprach auch ich ihn. Vollkommen­er Kavalier, ungewöhnli­ch gewandt. Innstetten war während des Krieges in derselben Brigade mit ihm, und sie haben sich im Norden von Paris bei Graf Gröben öfter gesehen. Ja, meine liebe Mama, das wäre nun also etwas gewesen, um in Kessin ein neues Leben beginnen zu können; er, der Major, hat auch nicht die pommersche­n Vorurteile, trotzdem er in Schwedisch-Pommern zu Hause sein soll. Aber die Frau! Ohne sie geht es natürlich nicht, und mit ihr erst recht nicht.“

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