Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was machen eigentlich die Geisteswissenschaften?
Projekt Mit dem Forum Forschende Fakultät 2.0 wollen Vorträge der Universität in der Neuen Stadtbücherei den Bogen von der Wissenschaft zum Alltag spannen. Es geht um Migration, Bildung und Sprache
Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Deutschland und keiner nimmt Sie auf. Als Arbeitskräfte wurden sie gebilligt, in die Gesellschaft aber waren sie kaum integriert: So sah das Leben vieler türkischer Gastarbeiter in den 1970er Jahren aus. Was wir von ihren Erfahrungen angesichts der Vielfalt im heutigen Deutschland lernen können? Das „Forum Forschende Fakultät 2.0“, eine zwei Wochen lange Aktion der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität in der Neuen Stadtbücherei, sollte Antwort geben.
Denn die dort vertretenen Geisteswissenschaften beschäftigen sich sowohl mit Geschichte als auch mit Gegenwart. „Sie regen zu Diskussionen an und können Lösungen für aktuelle Probleme anbieten“, erklärt der Mittelalterhistoriker Prof. Martin Kaufhold. Er hat das Projekt initiiert. Die Philologisch-Historische Fakultät will mit täglichen Kurzvorträgen jeweils zur Mittagszeit die Bandbreite ihrer Forschungsgebiete vorstellen. Die Themen reichen von Literatur über Terror über die Macht der Sprache am Beispiel des amerikanischen Präsidenten bis hin zu Bildung und Migration.
So hob etwa Ethnologe Prof. Günther Kronenbitter in seinem Vortrag die Leis- tung türkischer Gastarbeiter in den 1970er Jahren hervor, „den Alltag in fremder Umgebung zu bewältigen“. Wenige Deutschkurse und damit verbundene schlechte Sprachkenntnisse hätten ihre Integration auch in Augsburg erschwert. „Aufstieg über Bildung galt für Einwandererfamilien nicht“, erklärte Kronenbitter. Selten gelang den Gastarbeitern der Weg aus ihrer Gruppe heraus und hinein in die deutsche Gesellschaft. Unter welchem Druck sie standen, das brachte Kronenbitter in seinem Vortrag verständlich rüber. Zuweilen abstrakt und rätselhaft wirkte die Sprache der Wissenschaftler doch sonst meist auf Laien. Aber gerade sie sollen mit dem Forum Forschende Fakultät 2.0 angesprochen werden. Als Schauplatz wurde deshalb bewusst die Neue Stadtbücherei gewählt. „Es ist unsere Aufgabe, Forschung zu vermitteln und die Verbindung der Themen zum Alltag herzustellen“, findet Kaufhold.
Höchstens eine halbe Stunde dauerten die Vorträge, die zwischen 20 und 50 Hörer hatten. Zu stark vereinfacht dürften die Dinge für die Allgemeinheit aber nicht werden. Denn populistische Tendenzen zeigten, wie Sprache politisch missbraucht werden könne. „Sie darf nicht einfacher werden, als die Welt selbst ist“, sagt Kaufhold. Ohnehin sei komplexe, wissenschaftliche Sprache seiner Meinung nach kein schlechtes Zeichen. „Sie deutet vielmehr auf hohe Spezialisierung hin.“
Verständlich für die Allgemeinheit stellte auch Anglist Prof. Engelbert Thaler vor, was einen guten Fremdsprachenlehrer ausmacht. Ein solcher sehe seine Arbeit zum Beispiel nicht als Job, sondern als Berufung. Er sei zudem gut organisiert und reflektiere sich selbst. Ein Vortrag der Forschenden Fakultät, der sich aber vor allem an Lehrer und angehende Pädagogen richtete.
Schuldig blieb dagegen Kronenbitter, rund um sein Thema Migration den Bogen in die Gegenwart zu spannen und geisteswissenschaftliche Lösungsansätze anzubieten. Das, obwohl das Thema Einwanderung angesichts einer Vielzahl an Flüchtlingen im heutigen Deutschland nach wie vor von hoher Relevanz ist. „Die Diversität unserer Gesellschaft müssen wir mehr denn je verteidigen“, sagt auch Organisator Martin Kaufhold. O
Die Vorträge finden wochentags bis Donnerstag, 16. Februar, in der Neuen Stadtbücherei um 12.30 Uhr statt. Auch als Videos und im Livestream sind die Vorträge verfügbar unter: http://livestre am.com/uni augsburg/impuls