Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Neandertaler sterben nie aus
Wenn der Neandertaler seinen Willen durchsetzen wollte, wählte er ein äußerst effektives Mittel der Kommunikation: Er zog seinem Gegenüber eine Keule über. Wer übrig blieb, hatte demnach Recht. Dass dieses Grundprinzip des Meinungsaustausches auf Dauer im Verderben enden würde, liegt nach heutigem Wissensstand auf der Hand. Dem Geschöpf aus der Steinzeit hingegen leuchtete dies aufgrund der fehlenden Voraussetzungen zwischen seinen Ohren nicht ein.
Parallel zum Homo neanderthalensis entwickelte sich der Homo sapiens. Weil sich die beiden Gattungen vermischten, finden sich in den Genen des modernen Menschen DNA-Spuren jenes Verwandten, der Säbelzahntiger jagte. Im äußeren Erscheinungsbild hat sich der Erdenbürger prächtig entwickelt, er geht aufrecht und bedeckt – Urlaubssünden am Strand ausgenommen – seinen Körper mit ausreichend Stoff. Innerhalb der organischen Hülle unterscheiden sich die Menschen jedoch. Beim einen sind die Synapsen in der angedachten Reihenfolge verknüpft, beim anderen gleicht das Hirn einem Kabelsalat. Kurz: Es ähnelt dem Oberstübchen eines Neandertalers.
Ob Igor Lebedew, Vorstandsmitglied des russischen Fußballverbands, Keule schwingend um Lagerfeuer läuft, ist nicht überliefert. Die geistigen Fähigkeiten des rechtsextremen Politikers lassen dies jedoch vermuten. Gut ein Jahr vor der Weltmeisterschaft in Russland regt er an – und das ist kein Scherz –, Hooliganismus mit einem festen Regelsatz zu erlauben. Gewalttäter sollen sich also ganz offiziell prügeln. Sein Land sähe er gerne als Pionier dieses neuen „Sports“, ihm schweben Mannschaftswettbewerbe mit je 20 Mann vor. Sogar eine Art „Platzbegehung“kommt Lebedew in den Sinn. Der gemeine Schläger will schließlich wissen, wie die äußeren Bedingungen sind, wenn er dem Gegenüber die Fresse poliert. Etwa, ob ausreichend Pflastersteine, Café-Mobiliar oder Verkehrsschilder zur Verfügung stehen, die die Funktion einer Neandertaler-Keule erfüllen.
Fakt ist: Im Sommer kehrte der Hooliganismus als hässliche Begleiterscheinung des Fußballs zurück. Bei der Europameisterschaft in Frankreich wüteten Gewalttäter, für die WM im eigenen Land kündigten sie bereits Angriffe gegen internationale Gesinnungsgenossen an. Lebedews irrwitzige Idee wirkt abstoßend. Womöglich sieht manch einer in ihr dennoch einen Ausweg aus der Hooligan-Problematik. Motto: Wer sich lange und oft genug auf die Rübe haut, den ereilt irgendwann das Schicksal des Neandertalers – und er stirbt aus.
Lebedew selbst widerlegt aber diese These. Sämtliche Evolutionsstufen reichten nicht aus, um seinen Geist größer werden zu lassen, als den eines Neandertalers.