Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Dank Hörhilfe gehört sie wieder dazu
Soziales Wer gilt heute eigentlich als schwerbehindert? Und was bedeutet das? Zenta Lochner aus Zusmarshausen beobachtet einen Wandel in der Gesellschaft
Barrierefreie Wohnungen und geeignete Arbeitsplätze sind ein großes Thema
Zusmarshausen Als Zenta Lochner keine hohen Töne mehr hören konnte, geriet sie in Panik. Zwar leidet die heute 65-Jährige von Geburt an an einer geerbten Schwerhörigkeit, die sie im Laufe ihres Lebens immer schlechter hören ließ, doch den Vorfall vor elf Jahren beschreibt sie als Einschnitt in ihrem Leben. Ihren Beruf als Pflegehelferin am Bezirkskrankenhaus in Augsburg konnte die Zusmarshauserin nicht mehr ausüben. „Ich fühlte mich als nichts mehr wert,“erinnert sie sich.
Seitdem ist sie auf einem Ohr taub, auf dem anderen hört sie nur noch fünf bis zehn Prozent. Dass Zenta Lochner heute wieder hören kann, verdankt sie ihrem CochleaImplantat, einer elektronischen Hörprothese. „Ich gehöre wieder dazu“, sagt sie lächelnd. Die Hörhilfe setzt sich aus zwei Teilen zusammen: In den Schläfenknochen werden eine Empfängerspule und Elektroden eingesetzt, die bis in die Hörschnecke (Cochlea) des Innenohres reichen. Im Außenbereich des Ohrs trägt der Hörgeschädigte einen Sprachprozessor mit Mikrofon. Mithilfe elektromagnetischer Induktion kommunizieren die beiden Bauteile miteinander, Radiowellen übertragen die codierten Schallsignale. Die Kosten für die Operation übernahm die Krankenkasse.
Damit sich die Hörleistung mit dem Implantat verbessert, musste Zenta Lochners Gehirn das Hören erst wieder lernen. Etwa sechs Monate lang besuchte sie einen Logopäden, der verschiedene Übungen mit ihr machte. Nach und nach hörte sie wieder besser. Wer sich heute mit ihr unterhält, merkt nichts von ihrer Einschränkung. Als behindert würde sich die Zusmarshauserin selbst nicht bezeichnen und doch ist sie es laut Ausweis. Genauer gesagt sogar schwerbehindert. Nicht nur ihre Schwerhörigkeit und das CochleaImplantat führten dazu, dass sie einen 80-prozentigen Schwerbehindertengrad attestiert bekam, sondern auch Rücken- und psychosomatische Probleme. Bis sie das Implantat eingesetzt bekam, vergingen fünf Jahre. Eine lange Zeit, in der sie damals „total verzweifelt“war.
Zenta Lochner ist eine von 18 717 Schwerbehinderten im Landkreis Augsburg (Stand 2016). Das entspricht knapp acht Prozent der Einwohner. Insgesamt waren im vergangenen Jahr 25377 Personen behindert. Beträgt der Grad der Behinderung 50 Prozent oder mehr, so gilt man als schwerbehindert. Die häufigste Ursache dafür sind nicht angeborene Krankheiten, also beispielsweise Blind- oder Taubheit, Lähmungen und auch psychische Krankheiten wie Neurosen oder Persönlichkeitsstörungen. Menschen, die ihre Beine nicht mehr oder nur eingeschränkt bewegen können, stellen mit sieben Prozent die größte Gruppe der Schwerbehinderten dar. Oft führen auch verschiedene Krankheiten dazu, dass jemand als schwerbehindert gilt.
Für sie alle ist Eva Kurdas das Sprachrohr. Sie ist die Behindertenbeauftragte des Landkreises Augs- burg. Gemäß Paragraf 118a der bayerischen Verfassung kümmert sie sich darum, dass Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligt werden dürfen. Kurdas ist sowohl Ansprechpartnerin für ihre Zielgruppe als auch für Kommunen, zum Beispiel wenn es um Themen wie Barrierefreiheit geht. Auch nimmt sie Stellung zu Straßenbauprojekten des Landkreises und gibt Empfehlungen ab. Sie weiß um die Nöte von Behinderten und dass es nicht allen so gut geht wie Zenta Lochner. Barrierefreie Wohnungen, die zudem noch günstig sein sollten, sind ein großes Thema genauso wie geeignete Arbeitsplätze.
Zwar müssen Betriebe, die mehr als 20 Arbeitsplätze haben, mindestens fünf Prozent davon mit schwerbehinderten Menschen besetzen, doch viele scheuen sich davor, weiß Kurdas. Umbaumaßnahmen, auch wenn diese bezahlt werden, genauso wie der besondere Kündigungsschutz, den Menschen mit Behinderungen haben, schrecken viele Firmen ab, vermutet die Expertin. Stattdessen würden sie lieber Ausgleichsabgaben an das Integrationsamt zahlen. Diese kommen Firmen zu Gute, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Mit diesem Geld finanzieren sie die daraus entstehenden Kosten, wie beispielsweise eine behindertengerechte Ausstattung der Arbeitsplätze.
Zweifelsohne haben es Menschen mit Behinderungen in vielen Lebensbereichen schwer. Aber: „Es hat ein Wandel stattgefunden“, sagt Kurdas – und zwar zum Positiven. Die viel beklagte zunehmende Kälte im mitmenschlichen Umgang stellt sie nicht fest. Im Gegenteil: Menschen mit Behinderungen werden nicht mehr so ausgegrenzt wie früher. Gerade Rollstuhlfahrer berichten ihr von positiven Begegnungen. Die Hilfsbereitschaft in der Gesellschaft sei ihrer Erfahrung nach größer geworden. Dies kann auch Zenta Lochner bestätigten.
Schwieriger hätten es laut Kurdas jedoch Menschen, deren Behinderung nicht offensichtlich ist. Wer beispielsweise verhaltensauffällig ist, stößt leicht auf Unverständnis. Ein weiteres Problem im zwischenmenschlichen Umgang ist laut Kurdas Unsicherheit. Viele wüssten nicht, wie sie mit Menschen mit Behinderungen umgehen sollen. Zenta Lochner hat einen guten Weg gefunden.
Sie geht sehr offensiv mit ihrer Schwerhörigkeit um. Auch wenn sie heute alles hört, fallen ihr Gespräche mit lauten Nebengeräuschen schwer. Sie macht in solchen Fällen ihrem Gegenüber klar, wie dieser sich verhalten solle. Damit hat sie gute Erfahrungen gemacht.
Zenta Lochner ist froh, dass es ihr heute wieder gut geht. Auf die Frage, was sie sich an Entlastung in den schlimmsten Zeiten gewünscht hätte, kommt prompt die Antwort: weniger Bürokratie. Auch das könne ein Weg zu mehr Barrierefreiheit sein.