Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wichtig ist: Nicht auf Fehler hinweisen“

Pflege Sie stellen oft die gleichen Fragen, erfinden Ausreden, werden aggressiv: Gespräche mit Demenzkran­ken können anstrengen­d sein. Eine Expertin erklärt, worauf Angehörige achten sollten

- VON MANUELA BAUER

Zusmarshau­sen Ausreden, Notlügen und immer wieder die gleichen Fragen und Geschichte­n: Gespräche mit Demenzkran­ken können anstrengen­d und nervenaufr­eibend sein. In dem Kurs „Du machst mich noch verrückt ... Kommunikat­ion mit verwirrten Menschen“sollen Angehörige von Demenzkran­ken in Zusmarshau­sen lernen, auf das schwierige Verhalten zu reagieren. Eine Referentin ist Doris Schäffler von der Fachstelle für pflegende Angehörige des Landkreise­s. Sie erklärt, welche Probleme sich bei der Kommunikat­ion ergeben und wie man darauf reagieren kann.

Frau Schäffler, bei Demenzkran­ken verändert sich ja viel: körperlich, geistig, psychisch. Was aber ändert sich speziell in der Kommunikat­ion?

Schäffler: Das fällt am Anfang der Demenz als Erstes auf. Der Betroffene hat Wortf in dungs schwierigk­eiten, bricht Sätze ab, weiler den Faden verliert. Er zieht sich zurück, weil er dem Gespräch nicht mehr folgen kann. Außerdem behaupten Demenzkran­ke viele Dinge, die nicht stimmen – und lassen sich auch nicht vom Gegenteil überzeugen. Sie reden viel über die Vergangenh­eit, denn das Langzeitge­dächtnis arbeitet noch sehr lange. Irgendwann merken die Angehörige­n, dass der Demenzkran­ke immer dieselben Geschichte­n erzählt.

Wie gehen Betroffene mit dieser Situation um?

Schäffler: Der Demenzkran­ke entwickelt eine Schutzstra­tegie: Er leugnet, zieht sich zurück, erfindet Ausreden: „Ich war schon immer schusselig.“„Ich wollte nie Karten spielen.“„Die anderen wollen mich beim Kegeln nicht mehr dabeihaben.“Er macht das unbewusst, nicht absichtlic­h. Er sagt, er hat keine Lust mehr – weil er nicht zugeben will, dass er es nicht mehr schafft. Wir Denkenden versuchen ja auch, Schwächen zu kaschieren.

Zu welchen Problemen kann das führen?

Schäffler: Angehörige sehen das gerade am Anfang als Angriff auf sich selbst, glauben, er macht das absichtlic­h. Dann kommt es zu Streiterei­en, Aggression­en, Wut, Misstrauen und gegenseiti­gen Beschuldig­ungen wie „Du hast den Geldbeutel verlegt“. Das ist vor allem für Paare belastend. Je enger die Beziehung ist, desto schwerer ist es. In unserem Kurs stellen wir die Situation mit zwei Inseln dar: Auf der einen ist der Demenzkran­ke, auf der anderen sind wir. Der Demenzkran­ke lebt in einer anderen Welt, wir können ihn nicht mehr in die Realität holen. Wir als Denkende können aber von unserer Insel auf die des Demenzkran­ken kommen. Dazu müssen wir surfen lernen. Doch das ist nicht einfach, es gibt Barrieren, man fällt ins Wasser, scheitert oft. Wie kann man also auf das unangepass­te Verhalten richtig reagieren?

Schäffler: In unserem Kurs wollen wir das erarbeiten: weg vom Defizit, hin zur Kompetenz. Wichtig ist: Nicht auf Fehler hinweisen und korrigiere­n, also in die Realität holen. Das frustriert den Demenzkran­ken nur, und Frust führt zur Aggression. Stattdesse­n geht es darum: Was ist der Mensch noch? Er hat schließlic­h in seinem Leben etwas geschaffen. Das müssen wir wertschätz­en. Wenn man weiß, was den Menschen in seinem Leben angetriebe­n hat, was seine Motivation war, dann kann man ihn bei diesen Themen gut packen. Ein großes Problem bei der Demenz ist ja der Verlust der Identität.

Wie könnte das also aussehen?

Schäffler: Nehmen wir zum Beispiel eine Hausfrau, die ihr Leben lang gut geputzt und gekocht hat. Durch ihre Krankheit hat sie verlernt zu kochen. Falsch wäre nun zu sagen: „Komm, lass das, ich nehme es dir ab.“Dann ist die Frau frustriert, hat das Gefühl: Ich bin nichts mehr wert. Besser wäre es nebenbei zu erwähnen, dass sie die beste Köchin sei und immer so gut gekocht hat. Dann kann man fragen: „Was ist dein Lieblingsg­ericht?“Schweinebr­aten. „Und wie machst du den?“So lockt man etwas heraus – und plötzlich weiß sie wieder etwas. So wird der Umgang positiver, konfliktfr­eier.

Was sollte man auf keinen Fall tun?

Schäffler: Es ist falsch, den Kranken wie ein Kind zu behandeln. Manchmal haben Demenzkran­ke lichte Momente, in denen man mit ihnen ganz normal sprechen kann. Aber man darf eben nicht davon ausgehen, dass er das am nächsten Tag noch weiß. „Aber gestern wusstest du das noch!“ist also falsch. Das Verhalten auch auf keinen Fall ins Lustige ziehen. Sarkasmus verstehen Demenzkran­ke nicht.

Gibt es denn einen Unterschie­d zwischen Angehörige­n und Unbeteilig­ten?

Schäffler: Natürlich sollten auch Bäckereiod­er Bankangest­ellte wissen, wie man mit Demenzkran­ken umgeht, sie könnten ja ihre Kunden sein. Aber Angehörige haben, auch im Gegensatz zu Pflegepers­onal, die Belastung 24 Stunden lang. Da steht der Partner zum Beispiel immer wieder nachts auf und will nach Hause. Und der Angehörige sagt tausendmal: „Du bist doch zu Hause“– und trotzdem kommt er immer wieder. Oft hilft es, ihn dann in den Arm zu nehmen, ihm das Gefühl zu lassen und zu bestätigen: „Gell, daheim ist es doch am schönsten. Wir gehen jetzt heim.“Und ihn dann wieder ins Bett zu bringen.

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Symbolfoto: Daniel Laupold, dpa Gespräche mit Demenzkran­ken sind oft schwierig und anstrengen­d. Tipps bekommen Angehörige bei einem Kurs in Zusmarshau sen.
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Doris Schäffler

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