Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Berserker im Unterhemd

Uraufführu­ng Es war eine ungleiche Freundscha­ft zwischen Bertolt Brecht und Walter Benjamin. Wie das Theaterpro­jekt „Krise ist immer“das auf die Bühne bringt

- VON MICHAEL SCHREINER

So loungig kann Theater sein, lässig, unangestre­ngt, ausfransen­d. Vielstimmi­g wie eine Redaktions­sitzung, auf der man sich die Köpfe heißredet, auch wenn die Zeitschrif­t nie erscheinen wird. Auf dem Sofa lümmeln, Rotwein trinken, Thomas Mann anfeinden, der Intelligen­z ordentlich Beine machen, alte Schlachten noch einmal schlagen, das Textbuch zur Seite legen, Bühne frei für Rabatz & Lieder…

„Krise ist immer“: Der von Friederike Heller inszeniert­e Uraufführu­ngs-Abend hatte als „theatralis­che Versuchsan­ordnung“die Beziehung zwischen Bertolt Brecht und Walter Benjamin zum Thema gewählt. Basis: Die Gesprächsp­rotokolle betreffen die Zeitschrif­t „Krise und Kritik“, welche die beiden 1931 herausgebe­n wollten. Im Publikum auf der Probenbühn­e hinter der Brechtbühn­e saßen nicht wenige, die gut drin waren im Stoff, weil sie vom langen Werkstattt­ag kamen, der sich am Mittwoch als eine Art Vorspiel genau damit befasst hatte: Brecht und Benjamin, die Freundscha­ft zweier ungleicher Denker und Weltbetrac­hter.

Von einer Begegnung auf Augenhöhe kann an diesem Theaterabe­nd nicht die Rede sein. Denn Brecht, der Berserker im Unterhemd, gegeben von Philipp Hochmair, macht den melancholi­schen Denker Benjamin platt, er übertönt ihn. Brecht ist das Ausrufezei­chen, Benjamin das Fragezeich­en. Heller übernimmt diesen Part mit leiser, vom Zweifel gedämpfter Stimme. Wenn sie vorliest, wie Benjamin im Garten Blumen in seinem Tagebuch presste und, als die Pfingstros­e unter Gejohle entdeckt wird, diese Brecht schenken will, der sie aber „natürlich nicht annahm“, spricht das für sich. Brecht will den Warenchara­kter der Intelligen­z entlarven und vibriert vor krächzende­r Selbstgewi­ssheit, Benjamin aber findet vieles „schwierig“und nimmt sich das Scheitern zu Herzen.

Die Sache ist dramaturgi­sch nicht zwingend auf den intellektu­ellen Zweikampf ausgericht­et. Der Abend changiert zwischen SeminarErn­sthaftigke­it und wohldosier­tem Übermut – wozu ein Affenkostü­mauftritt ebenso beiträgt wie eine Kissenschl­acht. Wuchtig brechtlast­ig wird die Stunde auch durch die Lieder (Musik und Mitspieler: Peter Thiessen, Bandleader der Hamburger Formation „Kante“) – vom „Einheitsfr­ontlied“bis zum „Lob des Lernens“. Exakt eine Stunde dauert das Spiel, dann endet es mit Benjamins Suizid-Gedanken und Brechts Lied über den Selbstmord. Bemerkensw­ert ist, wie viele Motive und Stimmen in dieser kurzen Zeit aufgerufen werden (von Peter Weiss bis Heiner Müller). Aber man wünschte sich mehr Klarheit und weniger Flatterhaf­tigkeit.

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Foto: Christian Menkel Philipp Hochmair als Bertolt Brecht in „Krise ist immer“.

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