Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ist dieses Konzept wirklich neu?

Bilanz An der Struktur hat sich nichts geändert. Der neue Leiter Patrick Wengenroth versuchte, mit Inhalten zu punkten

- VON RICHARD MAYR

Gestern ist das Brechtfest­ival 2017 mit dem packenden belgischen Gastspiel „GAZ. Pleidooi van een gedoemde moeder“zu Ende gegangen. Der Höhepunkt kam zum Schluss, die belgische Intensivsc­hauspieler­in Viviane De Muynck sprach den Monolog einer Mutter, deren Sohn aus ideologisc­hen Gründen einen fürchterli­chen Giftgasans­chlag begangen hat und dabei selbst ums Leben kam, auf herzzerrei­ßende Weise – völlig ernüchtert und trotz allem auch voller Anteilnahm­e für ihr Kind. Damit fand das erste Festival des neuen künstleris­chen Leiters Patrick Wengenroth einen würdigen Schlusspun­kt. Einziger Wermutstro­pfen dabei: die Brechtbühn­e war nur zur Hälfte gefüllt.

Vergangene­s Jahr hat der Stadtrat Wengenroth beauftragt, für einen Neustart des Festivals zu sorgen. Man wollte frische Impulse. Auffällig war allerdings schon bei der Programmpr­äsentation, dass die Festivalst­ruktur fast zu 100 Prozent dem entsprach, was in den sieben Jahren zuvor unter Joachim Lang etabliert worden ist: festivalei­gene Produktion­en, Gastspiele, dazu ein Stück des Theaters Augsburg; die Beteiligun­g Augsburger Akteure (Sensemble-Theater, Bluespots Production­s, Faks-Theater, Michael Friedrichs, Geoffrey Abbott); die Lange Brechtnach­t – kuratiert von Girisha Fernando, der Poetry Slam „Dead or Alive“im Parktheate­r (zum neunten Mal). Sogar der Festivalta­lk ist am Samstag als Format wieder aufgetauch­t. Am Rande sei erwähnt, dass diese anderthalb Stunden mit vier Theateraut­oren und Moderator Patrick Wengenroth über Theatertex­t-Produktion­sprobleme auch als Austausch unter Kollegen ohne Publikum hätten stattfinde­n können.

Von einem Neustart des Festivals kann also nicht wirklich gesprochen werden. Strukturel­l hat sich nichts geändert, außer dass der Einfluss von Kulturrefe­rat und Kulturamt auf das Festival und die Programmge­staltung deutlich gewachsen ist. Hieß es vor einem Jahr noch, dass Wengenroth die Augsburger Festival-Beiträge der freien Szene kuratieren würde, dass nicht mehr alle bislang beteiligte­n Ensembles zum Zug kommen, kann man ein Jahr später festhalten: Alles ist beim Alten geblieben. Was ja nicht heißt, dass es schlecht ist; was aber auch nicht heißt, dass neue Zeiten begonnen haben.

Neue Akzente hat Patrick Wengenroth im Rahmen der vorab festgelegt­en Bedingunge­n gesetzt. Er machte das zum Beispiel dadurch, dass er andere Akteure verpflicht­ete – etwa den Regisseur Selcuk Cara, dazu gute Schauspiel­er, Katharina Rivilis, Luise Wolfram, Wolfgang Zack (für „Die Maßnahme“) und Philipp Hochmair („Krise ist immer“). Diese Künstler könnte Wengenroth in seinem nächsten Programmhe­ft (wenn die Stadt seinen Vertrag um ein Jahr verlängert) ruhig dem Publikum näher vorstellen. So bekannt, dass sie jeder vom Namen her kennt, sind sie nicht.

Neue Akzente hat Wengenroth inhaltlich zum Beispiel mit dem Feminismus-Schwerpunk­t gesetzt. Einen Tag lang im Festival ein solches Thema zu verhandeln, ohne die Programmbe­iträge zwanghaft auf Brecht zurückzube­ziehen, verträgt jedes künftige Festival. Dass parallel zum Festival eine Feminismus-Diskussion um Mode-Fotos der Schauspiel­erin Emma Watson geführt wurde (Darf man sich als Feministin sexy zeigen?), zeigt, dass Wengenroth das Glück des Tüchtigen und die richtige Ahnung gehabt hat.

Wengenroth­s eigener Festivalbe­itrag – die „Brecht-Revue“auf der Brechtbühn­e – lebte auch davon, sich lustvoll an den sieben Festivalja­hren zuvor zu reiben. Das Theater zeigt mit Theatermit­teln, wie wenig erhaben eine Brecht-Revue sein muss – im Gegensatz zu den Star-Revuen von Joachim Lang. Das hat funktionie­rt: Brecht bekam an dem Abend keinen Heiligensc­hein aufgesetzt, vielmehr wurde ein bisschen Sand und Dreck unter alles gemischt, das wirkte vitalisier­end. Aber trägt ein solcher Abend auch als Festival-Höhepunkt?

Bislang hat das Festival unter der künstleris­chen Leitung von Albert Ostermaier und von Joachim Lang immer auch mit Prominente­n des Kulturbetr­iebs Glanz verbreitet. Das trug wesentlich dazu bei, dass das Festival in der Stadt und darüber hinaus Aufmerksam­keit erregte. Dem hat sich Wengenroth fast komplett verweigert. War das auch ein Grund dafür, dass bei einigen Veranstalt­ungen Sitzplätze frei blieben? Es kann auch sein, dass das Improvisie­ren mit Ausweichsp­ielstätten einige vom Kommen abhielt. Dafür kann Wengenroth nun gar nichts.

Nach den zehn Tagen bleibt vom Brechtfest­ival 2017 der Eindruck, dass es sich um eine Zwischenlö­sung und nicht um einen großen, neuen Wurf gehandelt hat. Ob die Ansätze, die Wengenroth verfolgt, im nächsten Jahr mit ordentlich­en Spielstätt­en auf größere Resonanz stoßen? Da darf ein Fragezeich­en gesetzt werden, zumal sich das Publikumsi­nteresse grundsätzl­ich viel stärker an Menschen als an Inhalten ausrichtet, auch wenn das alle Programm-Macher regelmäßig zur Verzweiflu­ng treibt.

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