Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ist dieses Konzept wirklich neu?
Bilanz An der Struktur hat sich nichts geändert. Der neue Leiter Patrick Wengenroth versuchte, mit Inhalten zu punkten
Gestern ist das Brechtfestival 2017 mit dem packenden belgischen Gastspiel „GAZ. Pleidooi van een gedoemde moeder“zu Ende gegangen. Der Höhepunkt kam zum Schluss, die belgische Intensivschauspielerin Viviane De Muynck sprach den Monolog einer Mutter, deren Sohn aus ideologischen Gründen einen fürchterlichen Giftgasanschlag begangen hat und dabei selbst ums Leben kam, auf herzzerreißende Weise – völlig ernüchtert und trotz allem auch voller Anteilnahme für ihr Kind. Damit fand das erste Festival des neuen künstlerischen Leiters Patrick Wengenroth einen würdigen Schlusspunkt. Einziger Wermutstropfen dabei: die Brechtbühne war nur zur Hälfte gefüllt.
Vergangenes Jahr hat der Stadtrat Wengenroth beauftragt, für einen Neustart des Festivals zu sorgen. Man wollte frische Impulse. Auffällig war allerdings schon bei der Programmpräsentation, dass die Festivalstruktur fast zu 100 Prozent dem entsprach, was in den sieben Jahren zuvor unter Joachim Lang etabliert worden ist: festivaleigene Produktionen, Gastspiele, dazu ein Stück des Theaters Augsburg; die Beteiligung Augsburger Akteure (Sensemble-Theater, Bluespots Productions, Faks-Theater, Michael Friedrichs, Geoffrey Abbott); die Lange Brechtnacht – kuratiert von Girisha Fernando, der Poetry Slam „Dead or Alive“im Parktheater (zum neunten Mal). Sogar der Festivaltalk ist am Samstag als Format wieder aufgetaucht. Am Rande sei erwähnt, dass diese anderthalb Stunden mit vier Theaterautoren und Moderator Patrick Wengenroth über Theatertext-Produktionsprobleme auch als Austausch unter Kollegen ohne Publikum hätten stattfinden können.
Von einem Neustart des Festivals kann also nicht wirklich gesprochen werden. Strukturell hat sich nichts geändert, außer dass der Einfluss von Kulturreferat und Kulturamt auf das Festival und die Programmgestaltung deutlich gewachsen ist. Hieß es vor einem Jahr noch, dass Wengenroth die Augsburger Festival-Beiträge der freien Szene kuratieren würde, dass nicht mehr alle bislang beteiligten Ensembles zum Zug kommen, kann man ein Jahr später festhalten: Alles ist beim Alten geblieben. Was ja nicht heißt, dass es schlecht ist; was aber auch nicht heißt, dass neue Zeiten begonnen haben.
Neue Akzente hat Patrick Wengenroth im Rahmen der vorab festgelegten Bedingungen gesetzt. Er machte das zum Beispiel dadurch, dass er andere Akteure verpflichtete – etwa den Regisseur Selcuk Cara, dazu gute Schauspieler, Katharina Rivilis, Luise Wolfram, Wolfgang Zack (für „Die Maßnahme“) und Philipp Hochmair („Krise ist immer“). Diese Künstler könnte Wengenroth in seinem nächsten Programmheft (wenn die Stadt seinen Vertrag um ein Jahr verlängert) ruhig dem Publikum näher vorstellen. So bekannt, dass sie jeder vom Namen her kennt, sind sie nicht.
Neue Akzente hat Wengenroth inhaltlich zum Beispiel mit dem Feminismus-Schwerpunkt gesetzt. Einen Tag lang im Festival ein solches Thema zu verhandeln, ohne die Programmbeiträge zwanghaft auf Brecht zurückzubeziehen, verträgt jedes künftige Festival. Dass parallel zum Festival eine Feminismus-Diskussion um Mode-Fotos der Schauspielerin Emma Watson geführt wurde (Darf man sich als Feministin sexy zeigen?), zeigt, dass Wengenroth das Glück des Tüchtigen und die richtige Ahnung gehabt hat.
Wengenroths eigener Festivalbeitrag – die „Brecht-Revue“auf der Brechtbühne – lebte auch davon, sich lustvoll an den sieben Festivaljahren zuvor zu reiben. Das Theater zeigt mit Theatermitteln, wie wenig erhaben eine Brecht-Revue sein muss – im Gegensatz zu den Star-Revuen von Joachim Lang. Das hat funktioniert: Brecht bekam an dem Abend keinen Heiligenschein aufgesetzt, vielmehr wurde ein bisschen Sand und Dreck unter alles gemischt, das wirkte vitalisierend. Aber trägt ein solcher Abend auch als Festival-Höhepunkt?
Bislang hat das Festival unter der künstlerischen Leitung von Albert Ostermaier und von Joachim Lang immer auch mit Prominenten des Kulturbetriebs Glanz verbreitet. Das trug wesentlich dazu bei, dass das Festival in der Stadt und darüber hinaus Aufmerksamkeit erregte. Dem hat sich Wengenroth fast komplett verweigert. War das auch ein Grund dafür, dass bei einigen Veranstaltungen Sitzplätze frei blieben? Es kann auch sein, dass das Improvisieren mit Ausweichspielstätten einige vom Kommen abhielt. Dafür kann Wengenroth nun gar nichts.
Nach den zehn Tagen bleibt vom Brechtfestival 2017 der Eindruck, dass es sich um eine Zwischenlösung und nicht um einen großen, neuen Wurf gehandelt hat. Ob die Ansätze, die Wengenroth verfolgt, im nächsten Jahr mit ordentlichen Spielstätten auf größere Resonanz stoßen? Da darf ein Fragezeichen gesetzt werden, zumal sich das Publikumsinteresse grundsätzlich viel stärker an Menschen als an Inhalten ausrichtet, auch wenn das alle Programm-Macher regelmäßig zur Verzweiflung treibt.