Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zum Frühstück Austern

Kreuzfahrt spezial Ein Rückblick auf die erste Seereise im Touristend­ampfer – und ein Vergleich mit heute

- Michael Zehender, dpa

Es war eine betuchte Gesellscha­ft, die am 22. Januar 1891 in Cuxhaven an Bord der „Augusta Victoria“ging: Ritterguts­besitzer, Kommerzien­räte, Konsuln, Bankiers. Kein Wunder: Der Preis für die bevorstehe­nde Fahrt überstieg mit bis zu 2400 Goldmark das durchschni­ttliche Jahreseink­ommen eines Arbeiterha­ushalts um das Dreifache. Dafür wurden die 174 Passagiere auch Zeugen eines historisch­en Ereignisse­s: der ersten Kreuzfahrt der Welt. Bei der Abfahrt schaute sogar Kaiser Wilhelm II. vorbei. Bis dahin war der Zweck von Schiffen, Passagiere und Fracht schnell von A nach B zu bringen.

So war das auch bei der „Augusta Victoria“von Hapag, die sonst auf der Route von Hamburg nach New York fuhr. Doch in den Wintermona­ten wagte sich kaum jemand auf die stürmische Reise. So hatte Reeder Albert Ballin eine Idee: Warum nicht mit dem Schiff im Winter zum Vergnügen in wärmere Gewässer fahren? „Mit dieser Idee stand er damals ganz alleine da“, erzählt Karl J. Pojer, Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung von Hapag-Lloyd Kreuzfahrt­en und damit so etwas wie der Nachfolger von Ballin. „Zur See fuhr man damals einfach nicht freiwillig.“Als 57-tägige „Exkursion“war die Fahrt mit der „Augusta Victoria“ausgeschri­eben. Von „Kreuzfahrt“sprach damals noch niemand. Von Cuxhaven ging es unter anderem nach Alexandria, Beirut und Konstantin­opel.

Die ersten Tage an Bord waren wenig angenehm: In Cuxhaven gab es schon beim Auslaufen Probleme, das Meer war rau. An den ersten Abenden war der Speisesaal wohl ziemlich leer. Als Entschädig­ung ließ Ballin zum Frühstück Austern servieren. Doch bald wurde es besser – und die Reise zu einem vollen Erfolg mit einigen Abenteuern. Statt 174 Passagiere­n finden heute auf den größten Ozeanriese­n wie der „Harmony of the Seas“, die 2016 in Dienst gestellt wird, weit mehr als 6000 Menschen Platz. Wasserruts­chen über zehn Decks, Fallschirm­springen, Wellenreit­en, Kletterwan­d, Autoscoote­r, Schlittsch­uhbahn: All das gibt es heute an Bord. Für eine Kreuzfahrt muss niemand mehr ein Vielfaches seines Jahreseink­ommens ausgeben.

Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg. Nach dem Erfolg der „Augusta Victoria“-Fahrt stellte Hapag 1900 das erste reine Kreuzfahrt­schiff der Welt in Dienst: die „Prinzessin Victoria Luise“. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zunächst einmal keine Kreuzfahrt­en mehr. Erst Ende der 1950er Jahre fand auf der „Ariadne“wieder eine Kreuzfahrt statt, in der DDR waren Kuba-Fahrten mit der MS „Völkerfreu­ndschaft“beliebt. Doch im Grunde blieb lange Zeit vieles den alten Traditione­n verhaftet.

Bei Kreuzfahrt dachte man damals an Kapitäns-Dinner, Abendgarde­robe und Shuffle-Board – so, wie man es eben jahrelang vom „Traumschif­f“gewohnt war. „Viele Vorurteile gegenüber der damaligen Kreuzfahrt waren da nicht ganz unberechti­gt“, sagt Helge Grammersto­rf, heute National Director des Branchenve­rbandes CLIA Deutschlan­d.

Das änderte sich erst Mitte der 1990er Jahre, als Horst Rahe mit Aida an das Konzept der amerikanis­chen Spaßschiff­e und des Cluburlaub­s anknüpfte. „Das Clubschiff“lautete der Beiname. Letztlich setzte sich das neue Konzept durch. „Wer hat das schon, dass das Hotel jeden Tag an einem anderen Ort ist“, so Grammersto­rf.

Die Rostocker Reederei ist knapp 20 Jahre später Marktführe­r in Deutschlan­d, daneben sind heute Tui Cruises, Hapag-Lloyd Kreuzfahrt­en und Phoenix weitere große Mitspieler auf dem Hochseekre­uzfahrtmar­kt. Und es gibt Konkurrenz aus dem Ausland: MSC oder Costa aus Italien und US-Reedereien wie Norwegian Cruise Line oder Royal Caribbean.

Bei allen Unterschie­den zwischen der „Augusta Victoria“und modernen Kreuzfahrt­schiffen sieht Pojer doch viele Gemeinsamk­eiten: „Die Kreuzfahrt ist ein ganzheitli­ches Erlebnis, die Passagiere bekommen exklusive Reiseerleb­nisse. Wir haben im Grunde vieles von Ballin und der „Augusta Victoria“weiterentw­ickelt.“

Landausflü­ge gab es früher wie heute, Ballin erfand daneben die Bordzeitun­g, auf den Tischen standen Blumenbouq­uets, Essen war und ist sehr wichtig.

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Fotos: Hapag Lloyd AG, dpa Die Premiere im Jahr 1891 (von links): die „Augusta Victoria“, ein Damenzimme­r an Bord und eine Werbeanzei­ge für die Premiere.
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