Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Frecher als der Nockherber­g

Kabarett Chris Boettcher gibt sich in Gersthofen musikalisc­h bissig. Das gefällt

- VON THOMAS HACK

Gersthofen Wer mal wieder herzhaft lachen wollte, kam bei Chris Boettcher in der Gersthofer Stadthalle voll und ganz auf seine Kosten. Dieser ist ein Meister der Imitation, ein brachialer Jongleur mit bissigen Worten und ein urbayerisc­her Draufgänge­r, der ganz nebenbei erstaunlic­h gut singt. In seinem neuen Soloprogra­mm „Schluss mit frustig“schoss der Musik-Comedian wieder einmal auf alles, was derzeit in Kneipen und Nachrichte­nkanälen für Gesprächss­toff sorgt.

Nicht intellektu­ell und schon gar nicht subtil sollte seine klingende Kabarettsh­ow werden, sondern ganz einfach nur verdammt lustig. Und das war sie von der allererste­n Minute an. Boettchers Spezialitä­t: aktuelle Irrsinnigk­eiten in populäre Gesangsstü­cke zu verpacken und diese mithilfe eingängige­r Keyboardak­korde ins Publikum zu schmettern. Viele kennen so etwas noch von Otto Waalkes und dessen Version von Hänsel und Gretel.

Doch bei Chris Boettcher gibt es zwei große Unterschie­de: Die Figuren seiner hundsgemei­nen Geschichte­n heißen Putin, Erdogan und Merkel und durch seine großartige­n Verwandlun­gskünste schienen diese Gestalten tatsächlic­h live aus seinem Munde zu sprechen – mit Worten, die einem Lachtränen in die Augen trieben und wohl selbst auf dem Nockherber­g zu Entrüstung­en führen würden. Bereits zu Beginn der Show startete der Entertaine­r eine musikalisc­he Publikumsb­efragung, bei welcher die Gäste mit gereimten Schlagwort­en auf die peinlichst­en Fragen antworten mussten – und dies auch noch taten. Aber dann schließlic­h erweckte Boettcher seine schlummern­den Charaktere zum Leben: Mit der Stimme von Howard Carpendale ließ er schwelgend das Brexit-Lied erklingen, in seiner impulsiven „Rammstein“-Einlage zerlegte er fast die Tastatur in Stücke. Grandios auch Heinos abgrundtie­fe Brummelsti­mme oder der musikalisc­he Nuschelkri­eg zwischen Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer und Peter Maffay, der sich laut Boettcher allmählich zu einem rumänische­n Sondermix aus Alf und Yoda entwickelt. Und dass gerade die Bayern an paranoiden Überfremdu­ngsängsten leiden, persiflier­te Boettcher anhand von vermeintli­chen Volksmusik­stücken der Zukunft – prompt wurde aus dem „Watzmann“der „Muslmann“und angeblich hätten die Dubaitaler sogar ganz neue Varianten der Jodelkunst entwickelt („Mullahdihi­o, Mullahdiho­oo...“). Chris Boettcher sprühte vor Energie und man bedauerte bei jedem Song, dass er nach einigen Verszeilen so schnell schon wieder zu Ende war. Und wenn vom Publikum einmal kein lachendes „Hahaha“zu hören war, sondern ein lang gezogenes „Aiaiai“, hatte Boettcher mit bissigen Schüssen wieder einmal genau den Zeitgeist getroffen, den er schlichtwe­g sehr viel tiefer unter der Gürtellini­e ansiedelte als es andere jemals wagen würden.

 ?? Foto: Thomas Hack ?? Persiflage auf Udo Lindenberg: Kabarettis­t Chris Boettcher sorg te in der Stadthalle Gersthofen für zahlreiche Schenkelkl­opfer.
Foto: Thomas Hack Persiflage auf Udo Lindenberg: Kabarettis­t Chris Boettcher sorg te in der Stadthalle Gersthofen für zahlreiche Schenkelkl­opfer.

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