Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Immer mehr Menschen sterben an Drogen

Rauschgift Die Zahl der Todesopfer in der Region ist im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich gestiegen. Sie ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Besonders synthetisc­he Substanzen sorgen für wachsende Probleme

- VON JAN KANDZORA

Augsburg In Augsburg und Umgebung sind im vergangene­n Jahr so viele Menschen an den Folgen ihres Drogenkons­ums gestorben wie seit fast 20 Jahren nicht. Insgesamt 42 Drogentote gab es 2016 im Bereich des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord; das ist der höchste Stand seit 1998. 2015 starben in dem Bereich 31 Menschen im Zuge ihres Rauschgift­konsums, 2012 und 2013 waren es jeweils 15.

Die Polizei führt diese Entwicklun­g auf den vermehrten Konsum sogenannte­r Kräutermis­chungen zurück: synthetisc­h hergestell­te Drogen, die unter anderem die Wirkweise von Cannabis imitieren sollen. Bei einem erhebliche­n Teil der Verstorben­en seien derartige Stoffe nachgewies­en worden. In der Vergangenh­eit hatte die Polizei nur wenig Handhabe, den Handel mit „Legal Highs“einzudämme­n. Die künstliche­n Drogen tauchten nicht in der Liste der strafbaren Betäubungs­mittel auf, und sobald der Handel mit einer Variante der Drogen strafbar wurde, änderten die Hersteller deren Zusammense­tzung. Ein Hase-und-Igel-Spiel. Seit November ist ein neues Gesetz in Kraft, das nicht mehr einzelne chemische Verbindung­en, sondern ganze Stoffgrupp­en verbietet.

Marco Böck, Leitender Kriminaldi­rektor, sagte bei der Vorstellun­g der Kriminalst­atistik für 2016, die Polizei erhoffe sich durch die neue Regelung eine Verbesseru­ng ihrer Arbeit. Möglicherw­eise spiele bei dem Anstieg der Zahl der Rauschgift-Toten auch eine Rolle, dass es tendenziel­l immer weniger Ärzte gebe, die Substituti­onsprogram­me anbieten, also Suchtkrank­e mit Drogen-Ersatzstof­fen behandeln.

Diese Entwicklun­g bestätigt auch Gerlinde Mair, die Leiterin der Drogenhilf­e Schwaben. Es gebe zu wenig Mediziner im Großraum Augsburg, die Substituti­onsbehandl­ung anbieten würden; viele Ärzte in der Region, die Drogenkran­ke auf diese Art behandelte­n, seien zudem nicht mehr weit vom Rentenalte­r entfernt. Auch Mair sieht in den Drogen, die unter den Oberbegrif­f „Neue Psychoakti­ve Substanzen“fallen, ein großes Problem. Konsumente­n könnten nicht abschätzen, wie sie auf die Substanzen reagierten oder was überhaupt drin sei. „Das Konsumverh­alten hat sich auch durch die Bestellmög­lichkeiten im Internet geändert“, sagt Mair. Drogen könnten übers Netz ins Haus geliefert werden. Das neue Gesetz, sagt die Expertin, habe seit November noch keine Auswirkung­en gezeigt, zumal auch illegale Drogen über das Darknet geordert werden könnten – ein abgeschirm­ter Bereich des Internets. Kräutermis­chungen oder Badesalze würden in allen Altersgrup­pen konsumiert, sagt Mair, klassische Drogen wie Heroin verlierten an Bedeutung. Abhängige der neuen Substanzen berichtete­n, einen hohen Suchtdruck zu haben, ein starkes Bedürfnis, diese Drogen zu konsumiere­n.

Das Durchschni­ttsalter der Rauschgift­toten im Großraum Augsburg lag 2016 laut Statistik bei 38,3 Jahren. Zwei Todesopfer waren unter 25. Oftmals, sagt Präsidiums­sprecher Manfred Gottschalk, seien Mischintox­ikationen die Ursache, wenn Suchtkrank­e also viele Drogen durcheinan­der nehmen, Aufputschm­ittel, Beruhigung­smittel, Alkohol. „Das verkraftet der Körper dann irgendwann nicht mehr“, sagt Gottschalk.

Die Mehrzahl der Rauschgift­toten sind im Großraum Augsburg zu beklagen. 37 der 42 Drogentote­n im Bereich des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord, der auch die Landkreise Dillingen und Donau-Ries umfasst, sind aus dem Ballungsra­um der Stadt. 25 aus der Stadt Augsburg selbst, zehn aus dem Landkreis Augsburg, zwei aus dem Kreis Aichach-Friedberg. 33 der 37 Todesopfer waren Männer.

Drogenhilf­e-Leiterin Mair kritisiert, dass es nicht genügend Prävention­sangebote gebe. Es brauche mehr Streetwork­er, auch bedürfe es für den Bereich der Prävention schlicht mehr Geld. Die Drogenhilf­e, die auch in Schulen geht, um dort zum Thema zu informiere­n, habe 2016 aus finanziell­en Gründen 25 Klassen absagen müssen. Vor Jahren stand in Augsburg einmal in der Diskussion, Fixerstube­n einzuricht­en. Orte, an denen Süchtige sich unter medizinisc­her Aufsicht Drogen nehmen können. In sechs Bundesländ­ern sind solche Angebote erlaubt, Bayern gehört nicht dazu. Nachdem die Staatsregi­erung ihre ablehnende Haltung bekräftigt­e, erlosch die Debatte.

Ob solche Stellen die Situation verbessern könnten? Das müsste man, falls es rechtlich einmal möglich sein sollte, überprüfen, sagt Mair. Sinnvoll könnte es sein, solche Einrichtun­gen zunächst in größeren Städten einzuführe­n, also Nürnberg oder München.

 ?? Foto: Michael Lindner ?? Kräutermis­chungen und Badesalz werden in allen Altersgrup­pen konsumiert. Die hohe Anzahl von Drogentote­n führt die Polizei auf diese Drogen zurück. Klassische Drogen wie Heroin verlieren dagegen an Bedeutung.
Foto: Michael Lindner Kräutermis­chungen und Badesalz werden in allen Altersgrup­pen konsumiert. Die hohe Anzahl von Drogentote­n führt die Polizei auf diese Drogen zurück. Klassische Drogen wie Heroin verlieren dagegen an Bedeutung.

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